Abschiedsfarben (German Edition) by Schlink Bernhard

Abschiedsfarben (German Edition) by Schlink Bernhard

Autor:Schlink, Bernhard [Schlink, Bernhard]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Diogenes Verlag
veröffentlicht: 2020-07-21T16:00:00+00:00


2

Dass das Zusammenleben nicht so einfach war, wie sie es sich erträumt hatten, versteht sich. Aber beide hatten viel guten Willen, und sie waren sich einig, dass Mara unter der Situation nicht leiden sollte. Weil Theresa auf die Wiederaufnahme ihres Studiums warten musste, hatte sie Zeit, sich um Mara zu kümmern und ihr bei der Gewöhnung an die neue häusliche Situation und beim Eintritt ins Schulleben zu helfen. Bastian versuchte nicht, an die Stelle des Vaters zu treten, sondern war von ruhiger, nie tadelnder, nie fordernder Präsenz. Er war witzig, und nach ein paar Wochen freute Mara sich daran. Er erzählte gut, und zuerst bat Theresa ihn bei ihren Wanderungen, er solle erzählen, dann bat ihn auch Mara. Nach einem halben Jahr ließ sie sich vor dem Einschlafen von ihm vorlesen. Wenn ihr Vater sie zu den gemeinsamen Wochenenden nicht abholen konnte, fuhr Theresa sie, bis sie einmal krank war und Bastian sie fahren musste; ab da akzeptierte Mara auch ihn als Fahrer.

Sie gewöhnten sich nicht nur aneinander, sie gewannen einander lieb. Sie mochte ihren gutmütig polternden Vater, der sie erziehen wollte, aber nicht zu erziehen wusste und verwöhnte. Bastian war ganz anders, leiser, sanfter, ein aufmerksamer Zuhörer und, wenn sie ihn fragte, voller Anregungen und Ermutigung. Wenn sie in der Schule etwas nicht verstand, half er ihr mit Freude bei dem Problem, das zu lösen war, und ihr, die es lösen wollte. Den ersten Kuss gab sie ihm, als sie das kurze Gedicht, das sie in der ersten Klasse auswendig lernen musste und mit dem sie sich schwertat, dank der Eselsbrücken, die er ihr baute, endlich fehlerfrei aufsagen konnte. Sie las früh, und er fand Bücher für sie. In der zweiten Klasse fing sie an, kleine Geschichten zu schreiben, die er las und lobte.

Ob Schulaufgaben erledigen, lesen, schreiben – was sie draußen machen konnte, machte sie draußen. Sie war auch lieber draußen mit den Jungen als drinnen mit den Mädchen, mochte lieber auf Bäume klettern als Puppenhäuser einrichten, lieber Räuber und Gendarm spielen als Vater, Mutter, Kind, lieber Fußball als Ballett. Theresa war erstaunt; sie selbst war ganz anders gewesen. Bastian zuckte die Schultern. Wenn Blau statt Rosa, Jeans statt Kleider, Stolz auf Kratzer und Schrunden statt Freude am Schminken – was soll’s?

In seiner Ehe hatte Bastian sich damit abgefunden, keine Kinder zu haben. Seine Frau konnte keine haben, und solange die Ehe funktioniert hatte, beide in ihren Berufen gefordert waren, nicht nur unter der Woche, sondern auch samstags und sonntags, beide oft zu müde waren, abends auch nur zusammen fernzusehen, konnte er sich ein Leben mit Kindern nicht vorstellen. Jetzt hatte er auf einmal ein Leben mit Kind und mochte es und hätte gerne mehr Kinder gehabt. Aber es ergab sich nicht, und als Theresa und er merkten, dass die Versuche künstlicher Befruchtung drohten, ihnen die Freude an der gemeinsamen Sexualität zu nehmen, setzten sie sie nicht fort. Überdies war Theresa mit dem Studium fertig und in der praktischen Ausbildung, und das Leben war so dicht, dass der Wunsch nach einem weiteren Kind zur abstrakten Sehnsucht verblasste.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.