04 Verhaengnisvolles Schweigen by Peter Robinson

04 Verhaengnisvolles Schweigen by Peter Robinson

Autor:Peter Robinson
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2012-01-09T23:00:00+00:00


* 9

Da waren sie auf dem Weg in die Kirche: die lächelnden Frauen mit ihren breitkrempigen Hüten und bunt bedruckten Baumwollkleidern sowie die in eng gebundene Krawatten und steife Westen gezwängten Männer, denen man ihr Unbehagen ansah.

Jeden Sonntagvormittag, wenn sie die Zimmer säuberte, beobachtete Katie die Dorfbevölkerung, und jede Woche wusste sie, dass sie mit dabei sein und auch Sam mitschleifen sollte, beispielsweise mit dem Versprechen, dass er hinterher eine Stunde in den Pub konnte, solange sie das Mittagessen zubereitete. Aber er ging ja so oder so in den Pub, und sie bereitete so oder so das Mittagessen zu. Übergangen wurde also nur die Stunde in der Kirche. Und die Tatsache, dass sie es nicht über sich brachte, in die Kirche zu gehen.

Während ihrer gesamten Kindheit hatte ihre Großmutter Katie dazu gezwungen, mit zum Gottesdienst zu kommen, und die eisige Ergebenheit der Gemeinde hatte sie fast zu Tode erschreckt. Obwohl sie Gott anbeteten, wagten sie kaum laut zu singen, aus Angst, Er könnte denken, sie fänden Gefallen an den Lobgesängen. Die Gebete und die Predigten hatte Katie als Kind nie verstanden, aber sie verstand die leidenschaftliche Drohung in den Stimmen derer, die sprachen; sie verstand die Bedeutung des Speichels, der manchmal über ihre Lippen tropfte, und sie verstand, warum ihre Augen glasig wurden. Als sie älter wurde, stützte sich ihre Angst auf den Anblick, die Geräusche und Gerüche einer Kirche. Die kalte Muffigkeit der verwitterten Steinplatten; die knarzenden Bänke, wenn ein Kind gelangweilt darauf herumrutschte; das unheimliche Echo der Pastorenstimme; das Holzbrett, auf dem die Nummern der Lieder angeschlagen waren; die bemalten Fenster, die Farben wie zerbrochene Seelen zerteilten. Nur dreißig Sekunden in einer Kirche bedeuteten für Katie Panik: Sie bekam keine Luft mehr, sie begann zu zittern, und ihr Blut hörte auf zu fließen.

Aber sie wusste, dass sie gehen sollte. Schließlich war eine Kirche Gottes Haus auf Erden, und sie würde niemals ihrem Tal der Tränen entkommen, wenn sie sich Ihm nicht vollständig hingab. Stattdessen schaute sie zu, wie der Rest des Dorfes im Sonntagsstaat in die Kirche ging, und lauschte, während sie Staub wischte, aufräumte, fegte und still und leise vor sich hin summte, den Lobgesängen im Radio. Würde Er das gutheißen? Immerhin arbeitete sie, sie tat ihre Pflicht. Es war zwar Sabbat, aber man musste sich trotzdem um die Gäste kümmern. Tief in ihrem Herzen hegte sie ohnehin den Verdacht, dass der Sabbat nur für Männer bestimmt war. Also würde Er ihren Fleiß ganz bestimmt gutheißen. Würde all die Arbeit zu ihren Gunsten auslegen. Aber sie erinnerte sich dunkel, dass es Sünde war, Seine Gunst herauszufordern, zu sagen: »Sieh, was ich getan habe, Herr.« Es war die Sünde des Stolzes. Auf jeden Fall behaupteten das manche. Sie konnte sich nicht erinnern, wer, auch nicht, ob ihre Großmutter gewollt hatte, dass sie denen glaubte. Es lauerten so viele Ketzer, so viele Fallen, die einem Seele und Körper verunreinigten. Doch Worte wie Glaube, Pflicht und Bestimmung kreisten durch ihre Gedanken.

Jedenfalls, schloss Katie trübsinnig, konnte ihre Arbeit am Sonntag nur die Last der Sünde vergrößern, die sie bereits trug.



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