Zwischen Welten by Juli Zeh & Simon Urban

Autor:Juli Zeh & Simon Urban [Zeh, Juli & Urban, Simon]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Luchterhand Literaturverlag
veröffentlicht: 2023-01-24T23:00:00+00:00

Donnerstag, 4. August

20:58 Uhr, Stefan per E-Mail:

Hallo Tessa,

ich sitze gerade zu Hause im goldenen Licht der untergehenden Sonne und höre Shiny Happy People von R.E.M. Dieser Song ist lächerlich und großartig zugleich. Schade, dass du jetzt nicht hier bist. Wie wäre wohl so ein Abend mit dir in der Stadt, wenn wir zufällig mal beide gleichzeitig gute Laune hätten und du mir nicht in die Eier treten würdest? Stelle ich mir, ehrlich gesagt, ziemlich schön vor. Vielleicht würde es sich anfühlen wie früher … Oder gerade überhaupt nicht wie früher, Schwesterherz.

Hamburg im Sommer ist fantastisch. Wir könnten auf einem Ausflugsdampfer durch den Hafen schippern, Falco hören und dabei genießen, dass es uns beide noch gibt. Kein Exklusivitätswettbewerb, einfach nur eine gute Zeit. Also, falls du mal vor allem fliehen möchtest, was dir da drüben im Osten so widerfährt, würde ich mich über einen spontanen Besuch von dir freuen. Nur nicht an der Außenalster.

Deine Psychoanalyse habe ich mit Interesse gelesen. Ob du damit richtig liegst, kann ich nicht sagen, schließlich bin ich der Patient. Den Wunsch, das Beste aus allem herauszuholen, ob beruflich oder privat, habe ich sicherlich. Eine Art Lebensperfektionismus von Carbonara bis Karriere. Ist das so schlimm? Wenn der Mensch nicht gut sein will, wenn er sich selbst und die Welt nicht besser machen will, dann bleibt doch wenig Sinnvolles übrig, was er wollen kann.

Um mal ein bisschen Gegen-Psychoanalyse zu machen: Du leidest dafür am Anglerfisch-Syndrom (habe ich eben erfunden, extra für dich). Du hast deine eigene Laterne vor dem Kopf hängen und folgst diesem selbstinstallierten Fixstern stur und unbeirrbar durch die Dunkelheit. Vom eingeschlagenen Weg abzuweichen, und sei es auch nur um einen Zentimeter, ist dir nicht möglich. Dein Pfad ist vorgezeichnet, deine Entscheidungsfreiheit eine Illusion. Du triffst keine Entscheidungen, sie treffen dich. Ein Mathematiker könnte vermutlich exakt ausrechnen, zu welchem Punkt dich das in den nächsten Jahren führt. Schicksalsarithmetik. Während ich offenbar permanent rechts und links vom Weg nach Exklusivität Ausschau halten muss, trägst du Scheuklappen, Augen immer geradeaus. Du nimmst unbeirrt Konfrontationskurs auf dein Schicksal. Könnte es sein, dass wir deshalb so gut zueinanderpassen, weil wir total verschieden sind?

So. Cut.

Jetzt mal zu etwas Schönem, denn ich habe wirklich gute Laune. Das Treffen mit DvB lief hervorragend, noch viel besser als erwartet. Wir waren bei der Grande Dame zu Hause. Die Wohnung musst du dir vorstellen wie eine Art Museum, überall hängt oder steht Kunst herum. Ihr verstorbener Gatte Fridtjof von Bargen war ein leidenschaftlicher Sammler, vor allem von Künstler*innen des Informel. Sota und ich hatten zwanzig Minuten Zeit, uns Originale von Wilhelm Wessel und Fritz Harnest anzusehen, dann kam DvB dazu, holte uns in ihr Arbeitszimmer und hörte sich an, was wir zu sagen hatten. Natürlich führte Sota das Wort. Er hat das Talent, einen Erpressungsversuch wie einen Flirt klingen zu lassen, und DvB besitzt genug Klasse, um so zu tun, als würde sie das nicht durchschauen. Am Ende fragte sie nur: »Wie viel Bedenkzeit habe ich?« Wir haben uns auf drei Tage geeinigt. Dann saßen

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