Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten by Robert M. Pirsig
Autor:Robert M. Pirsig
Die sprache: eng
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-06T05:00:00+00:00
Ich sprach vorhin von der ersten Welle der Kristallisation außerhalb der Rhetorik, die sich aus Phaidros' Weigerung, Qualität zu definieren, ergab. Er mußte sich die Frage beantworten: Wenn du sie nicht definieren kannst, was läßt dich dann glauben, daß sie überhaupt existiert?
Seine Antwort war nicht neu, sie entstammte einer philosophischen Richtung, die sich Realismus nennt. »Ein Ding existiert«, sagte er, »wenn eine Welt ohne es nicht normal funktioniert. Wenn uns der Nachweis gelingt, daß eine Welt ohne Qualität nicht normal funktioniert, haben wir damit gezeigt, daß die Qualität existiert, ob sie nun definiert wird oder nicht.« Hierauf ging er daran, von einer Beschreibung der Welt, wie wir sie kennen, die Qualität zu subtrahieren.
Das erste Opfer einer solchen Subtraktion, sagte er, wären die schönen Künste. Wenn man in den Künsten nicht mehr zwischen gut und schlecht zu unterscheiden vermag, verschwinden sie. Es ist witzlos, ein Bild an die Wand zu hängen, wenn die nackte Wand genauso gut aussieht. Man kann auf Symphonien verzichten, wenn das Knistern von der Platte oder das Brummen des Plattenspielers sich genauso gut anhören.
Die Poesie würde verschwinden, weil sie nur selten einen Sinn gibt und keinen praktischen Wert hat. Und auch die Komödie würde interessanterweise verschwinden. Kein Mensch würde mehr über Witze lachen, denn der Unterschied zwischen Humor und Humorlosigkeit ist reinste Qualität.
Als nächstes ließ er den Sport verschwinden. Fußball, Baseball, alle sportlichen Wettbewerbe und Spiele würden verschwinden. Die erreichten Punktzahlen wären nicht länger Maßstäbe für etwas Sinnvolles, sondern bloß leere Statistiken, wie die Anzahl der Steine in einem Kieshaufen. Wer würde solche Wettkämpfe besuchen? Wer an ihnen teilnehmen?
Als nächstes subtrahierte er die Qualität vom Wirtschaftsgeschehen und sagte voraus, was für Konsequenzen das haben würde. Da Geschmacksqualität keine Bedeutung mehr hätte, würden die Supermärkte nur noch Grundnahrungsmittel wie Reis, Maismehl, Sojabohnen und Weizenmehl führen; daneben auch noch etwas Fleisch, gleich welcher Sorte, Milch zum Aufziehen von Säuglingen sowie Vitamin- und Mineralpräparate zur Verhinderung von Mangelerscheinungen. Alkoholische Getränke, Tee, Kaffee und Tabak würden verschwinden. Ebenso Filme, Tanzveranstaltungen, Theater und Partys. Wir würden nur noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Wir würden alle die gleichen billigen Schuhe tragen.
Ein sehr hoher Prozentsatz von uns wäre ohne Arbeit, aber das wäre wahrscheinlich nur vorübergehend, bis man uns für grundlegende qualitätslose Aufgaben heranzöge. Angewandte Naturwissenschaft und Technik würden drastisch verändert, aber reine Wissenschaft, Mathematik und Philosophie, speziell Logik, würden unverändert bleiben.
Phaidros fand besonders diesen letzten Aspekt äußerst interessant. Die rein intellektuellen Beschäftigungen wurden von der Subtraktion am wenigsten berührt. Wenn man die Qualität aufgäbe, bliebe nur die Rationalität unverändert. Das war seltsam. Wie sollte man sich das erklären?
Er wußte es nicht, aber eines wußte er: Indem er von einem Bild der Welt, wie wir sie kennen, die Qualität subtrahierte, hatte er einen Bedeutungsumfang dieses Begriffs aufgedeckt, von dem er selbst nichts geahnt hatte. Die Welt kann ohne Qualität funktionieren, aber das Leben wäre so öde, daß es kaum noch lebenswert wäre. Es wäre überhaupt nicht mehr lebenswert. Das Wort wert drückt Qualität aus. Das Leben wäre bloßes Existieren, ohne jeden Wert und ohne jeden Sinn und Zweck.
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