Zeit20 by Lenk

Zeit20 by Lenk

Autor:Lenk
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2014-03-14T16:00:00+00:00


verstehen, er ist ja für sein Gotteshaus verantwortlich. Ihm muss alles daran gelegen sein, dass die Kapelle in neuem Glanz erstrahlt und dass man mehr sieht als …“, er grinste breit, „… als ein großes, weißes Tuch.“

Michelangelo deutete auf das Portal. Sein Zeigefinger zitterte. „Raus!“, schrie er. „Verlasst die Sixtina!“

Raffael deutete galant eine Verneigung an. „Nur zu gern. Aber wir erlauben uns, morgen am Gottesdienst teilzunehmen. Dann ist ja der große Moment der Wahrheit gekommen!“

Dann verließen der junge Künstler und Bramante die Kapelle.

„Gemein, wie die sich aufführen“, sagte Kim düster.

„Ein Skandal!“, tobte Michelangelo. „Man sollte ihnen die frechen Mäuler mit, mit …“ Er suchte nach Worten.

„Intonaco?“, schlug Lorenzo diensteifrig vor.

„Ja, mit Putz stopfen!“, zürnte der Meister. „Aber jetzt an die Arbeit. Das Eva-Fresko muss bis morgen fertig werden!“

Gemeinsam mit seinen Helfern eilte Michelangelo wieder zu dem Gemälde.

„Gut, auf dem Putz ist schon die dünne Haut entstanden. Rasch ans Werk!“, rief der Meister, nahm die Farben unter die Lupe und rührte sie mit Wasser an.

Dann ließ er jedoch seinen Malergehilfen den Vortritt – sie durften den Hintergrund für den Adam malen, eine vergleichsweise einfache Arbeit. Und im Gegensatz zum Vortag riss die feine Haut nicht ein. Auf dem Gesicht des Meisters erschien ein Strahlen.

Schließlich griff er selbst ein. Neugierig schauten die Gefährten zu, wie er arbeitete, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen wie ein Habicht auf sein Werk gerichtet. Mit einem eher groben Pinsel aus Schweineborsten malte er zunächst den Baum, an den er den schlafenden Adam mit dem Oberkörper gelehnt hatte. Immer wieder hielt er kritisch inne und kaute nachdenklich am Ende des Pinsels.

Danach kam Adam selbst dran. Der Meister griff nun zu einem feineren Pinsel aus Eichhörnchenhaar. Mit fließenden, raschen Bewegungen trug er die Farben auf und es schien den Freunden, als erwecke der begnadete Künstler die Figur des Adams zum Leben. Eine Stunde arbeitete er, ohne sich auch nur eine winzige Pause zu gönnen.

Dann legte Michelangelo den Pinsel unvermittelt ab und trat einen Schritt zurück, um das Fresko zu betrachten. Seine Augen huschten unruhig hin und her.

„Ich weiß nicht, ich weiß nicht …“, sagte er zweifelnd.

„Es ist fantastisch!“, rief Julian.

Doch der Meister wirkte unsicher und unglücklich. „Lorenzo, was meinst du?“

Der Muratore trat neben ihn. „Doch, es ist einfach wunderbar!“

Auf Michelangelos Gesicht erschien unvermittelt eine tiefe Zornesfalte. „Nein, ist es nicht. Sie werden morgen lachen, sie werden mich verspotten. Der Papst, Bramante, Raffael – alle!“

Und ehe irgendjemand eingreifen konnte, rammte der Maler den Pinsel in seinen Adam und zerstörte die Figur.

„Meister, was tut Ihr da?“, schrie Julian entsetzt.

„Es ist nicht perfekt, es ist nichts!“, brüllte Michelangelo. Er wandte sich zu den Freunden um. In seinen Augen standen Tränen. „Wir fangen von vorn an. Los, los! Neuen Putz, Lorenzo!“

Die Gefährten schauten fassungslos auf das zerstörte Bild.

„Steht nicht rum und glotzt. Bewegt euch!“, herrschte der Meister sie an.

Während sie den neuen Putz anrührten, sagte Julian leise zu den anderen: „Hoffentlich wird die Eva-Szene überhaupt noch fertig. Sonst gibt es morgen wirklich eine furchtbare Blamage …“



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