Wuestenmond by de Cesco Federica

Wuestenmond by de Cesco Federica

Autor:de Cesco, Federica [de Cesco, Federica]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


19. Kapitel

»Leg deinen Kopf an meine Schulter«, sagte Elias. Er saß mit dem Rücken gegen den Felsen gelehnt, ich schmiegte mich an ihn und

spürte seinen Atem in meinem Haar. Meine Muskeln schmerzten von

der Kletterei, und ich hatte einige blaue Flecken. Mein Gesicht

brannte, meine Augen waren trocken und gerötet. Auch das Filmen

hatte Mühe gemacht, meine Finger fühlten sich ganz steif und

schwer an. Etwas Wind wehte, brachte den Geruch des Sandes mit.

Man konnte den Sand riechen, diesen scharfen, etwas salzigen

Geruch. Ob der Sand auch verseucht war?

Elias sagte:

»In dieser Sache nehme ich an, daß Algerien und Frankreich längst unter einer Decke stecken. Fünfzig Jahre ist das jetzt her, man wird geologische Studien gemacht haben. Irgendwie mußte eine Lösung

gefunden werden, man konnte das Problem ja nicht aus der Welt

schaffen. Wahrscheinlich hat der französische Staat eine Abfindung gezahlt. Algerien wird das Geld in die Rüstung gesteckt haben. Oder bei einer Schweizer Bank deponiert haben.«

Und inzwischen kommt das Gift, dachte ich. Es kommt aus den

Löchern der Erde, aus dem Wasser, aus dem Staub; es zieht durch

die Oasen, dringt in die Zelte, in das Knochenmark aller Menschen und Tiere. Ich spürte, wie unter der brennenden Haut Kälte in mir aufstieg.

»Und die Bevölkerung?«

»Die Leute sehen Dinge, die sie nicht begreifen können. Sie glauben, es ist vorbestimmt. Mektoub. Und was die Nomaden betrifft, ihr abgeschiedenes Leben hält sie von Gerüchten fern. Die Geburt eines Kindes, das nicht normal ist, erscheint ihnen furchtbar und

unehrenhaft. Sie wissen nicht, warum es so ist, ahnen es nicht

einmal. Man müßte es ihnen mit Worten erklären, die sie verstehen könnten…«

»Hast du es niemals versucht?«

»Nein. Es tut mir leid. Ich war blind, ein Versagen, das schwer auf meinem Gewissen lastet. Doch was sollten wir tun? Wir müßten sehr tiefe Brunnen graben, mindestens zweihundert Meter unter der Erde.

Aber wer gibt uns das Geld?«

»Internationale Hilfe, vielleicht…?«

»Die würde Algerien mit nobelklingender Entrüstung zurückweisen.

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Die Wirtschaft braucht ausländisches Kapital, und zwar dringend.

Gibt die Regierung zu, daß ein Teil der Sahara radioaktiv ist, würden die Investoren zurückschrecken.«

Ich fühlte, wie meine Kraft mich verließ. Mit blinzelnden Augen

betrachtete ich den Mond, der etwas größer als gestern war und

kupferrot aufstieg. Ich dachte an die kleinen Monster unten im

Schacht; mir wurde übel. Man würde sie im Fernsehen zeigen, diese so unerträglich widerlichen Kreaturen. In Großaufnahme, so nah,

daß sie den ganzen Bildschirm ausfüllten, dafür würde ich sorgen.

Aber inzwischen waren Harrisburg, Seveso, Bophal, Tschernobyl

passiert. Die Welt hatte ihre Ölpesten, Erdbeben, Massengräber,

Aids- und Ebola-Viren. Der katastrophengesättigte Bürger ließ sich nur dann wachrütteln, wenn das Desaster aktuell war. Dann döste er wieder ein und wartete auf das nächste.

»In-Eker«, sagte ich wütend, »ist ein alter Zopf.«

Das Paradies war eine Illusion, und ebenso die Wüste mit ihren

unterirdischen Seen, ihren Geheimnissen, ihren verborgenen

Wunden. Sie war aus den Trümmern der Vergangenheit geschaffen

und versprach ihren Kindern keine Hoffnung, keine Chance mehr.

Die Nomaden wanderten auf vorgezeichneten Todespfaden, dem

Sterben der Erde folgend; sie würden in die Legende eingehen wie einst ihre Ahnen, der Stille entgegen, wo ihr Name aus dem

Gedächtnis verschwindet und das Vergessen beginnt.

»Ein Sterben auf Raten«, sagte Elias dumpf, »man kann es auch

Zukunftsstarre nennen.«

Ich drückte mein Gesicht an seine Schulter.



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