Winterland: Ein Fall für Juncker und Kristiansen (Juncker & Kristiansen 1) (German Edition) by Kim Faber & Janni Pedersen

Autor:Kim Faber & Janni Pedersen [Faber, Kim & Pedersen, Janni]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Blanvalet Verlag
veröffentlicht: 2021-09-30T22:00:00+00:00

Bis er die anderen abgesetzt hat und mit dem Rad nach Hause gefahren ist, ist es nach drei. Ein kreisrunder Vollmond taucht die Vorgärten und Einfahrten der Siedlung in ein weißes Licht und lässt die gefrorenen Eiskristalle auf Bäumen, Büschen und Grashalmen funkeln wie Millionen kleiner Edelsteine. Die einzigen Laute in der Dunkelheit sind das schwache Rauschen seines Blutes, das seit neunundfünfzig Jahren in stetigem Rhythmus durch seine Venen gepumpt wird, und das leise Pfeifen des Tinnitus in seinem linken Ohr, der schon so lange ein fester Bestandteil seines Lebens ist, dass er ihn kaum mehr bemerkt.

Seine Mutter kommt ihm in den Kopf. Es ist knapp anderthalb Tage her, dass er im Schlafzimmer der Eltern gestanden und nach warmen Sachen für den Vater gesucht hat, sein Gesicht in ihre Kleidung gedrückt und ihren Duft eingeatmet hat. Aber es scheint bereits wie eine Ewigkeit. Es war das erste Mal, seit er wieder hier wohnt, dass er sie spüren konnte. Und zum ersten Mal, seit sie tot ist, hat er das Gefühl, sie ernsthaft zu vermissen. Seit Wochen ist er von Dingen umgeben, die früher ihr gehört haben: Möbel, auf denen sie gesessen, Küchenutensilien, die sie benutzt, Kleidung, die sie getragen hat, und dennoch scheint es, als hätte sie nie existiert. Der Schatten, der sie zu Lebzeiten war, ist auf den schwachen Duft von Zigarettenrauch und Parfüm reduziert, und schon in Kürze wird dieser vom beißenden Gestank nach Verfall und dem langsamen Tod eines alten Mannes ausgelöscht werden.

Was würde eigentlich passieren, wenn er einfach ins Haus gehen und dem alten Mann ein Kissen aufs Gesicht drücken würde? Würde jemand auch nur die Augenbraue anheben, wenn er morgen früh den Arzt anriefe und sagte, dass er den Vater leblos im Bett gefunden habe, dass der verwitterte und ausgediente Körper endlich aufgegeben habe? Würde sich jemand wundern und eine Obduktion, nähere Untersuchungen und eine Vernehmung verlangen? In einer Situation, wo kaum die Zeit noch die Ressourcen vorhanden sind, sich um zwei brutale Hinrichtungen und versuchten Mord durch Brandstiftung zu kümmern?

Wäre es nicht eigentlich ein Gnadenakt?

Schon im Windfang kann er das Schnarchen des Alten hören. Vorsichtig öffnet er die Tür zum Wohnzimmer. Der Vater liegt im Dunkeln auf dem Sofa, so wie er ihn vor über sechs Stunden zurückgelassen hat, und er spürt eine dankbare Erleichterung darüber, dass alles so ist, wie es sein soll. Oder besser gesagt, dass keine Katastrophen eingetreten sind.

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