Winston Churchill by Thomas Kielinger
Autor:Thomas Kielinger [Kielinger, Thomas]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406668906
Goodreads: 23284340
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2013-12-31T23:00:00+00:00
2. Churchill und Hitler nehmen Maß
Zu Deutschland hatte Churchill lange Zeit über eine aus Hochachtung und Halbwissen gemischte Beziehung, geprägt durch die Erfahrung des Ersten Weltkrieges und Eindrücke, die er davor als Beobachter bei zwei kaiserlichen Manövern gesammelt hatte, 1909 und 1913. Ein Erbe der Gedankenwelt des romantischen Rittertums, ließ er es nie an Anerkennung für den Gegner fehlen, gegen den er gekämpft hatte. Berühmt wurde seine Bilanz des deutschen militärischen Einsatzes im Ersten Weltkrieg, die er in «The World Crisis» zog. Die wuchtigen Worte dieser Passage lesen sich wie ein fröstelndes Kompliment an eine überragende Leistung:
«In der Sphäre von militärischer Kraft verzeichnet die Spur der Menschheit nichts, was der Eruption des deutschen Vulkans gleichkäme. Vier Jahre lang bot Deutschland den fünf Erdteilen zu Land, zu Wasser und in der Luft kämpfend die Stirn. Die deutschen Heere (…) griffen auf jedem Kriegsschauplatz erfolgreich ein, standen überall auf erobertem Boden und fügten ihren Feinden mehr als den doppelten Blutverlust zu, den sie selbst erlitten. Um ihre Stärke zu brechen, ihr wütendes Toben zu zähmen, war es nötig, all die größten Nationen der Menschheit gegen sie ins Feld zu führen. Überwältigende Völkerzahl, unbegrenzte Hilfsmittel, unermessliche Opfer, die Seeblockade vermochten fünfzig Monate lang nichts gegen sie auszurichten. Kleine Staaten wurden niedergetrampelt (…), und nahezu zwanzig Millionen Menschen gingen zugrunde (…), ehe das Schwert der fürchterlichen Hand entwunden werden konnte. Fürwahr, ihr Deutschen, für die Geschichte reicht das aus!»
Dass es nicht ausreichte, konnte der Autor, der dies 1927 schrieb, noch nicht wissen. Doch beschlichen ihn Ahnungen, so 1924 in dem hier mehrfach zitierten Zeitschriftenessay «Sollen wir alle gemeinsam Selbstmord begehen?» (siehe Kap. VIII, 3 und 4). Dem stellte er 1930 einen Aufsatz über Wilhelm II., «The Ex-Kaiser», zur Seite, den er später in die Essaysammlung «Große Zeitgenossen» aufnahm. Darin findet sich dieses Psychogramm des deutschen Charakters: «Auf den Deutschen ruht eine immense Verantwortung für ihre Unterwürfigkeit unter den barbarischen Gedanken der Autokratie. Dies ist die Hauptbeschwerde der Geschichte gegen sie – dass sie trotz ihrer Intelligenz und ihres Mutes die Macht anbeten und sich an der Nase herumführen lassen.»
Im Grunde blickte Churchill lange vor Hitler mit besorgten Augen nach Deutschland. Doch als die NSDAP in der Reichstagswahl vom September 1930 auf 18,3 Prozent der Stimmen hochschnellte, eine Steigerung um 15,7 Prozent seit 1928, war er alarmiert genug, um in der deutschen Botschaft in London um ein Gespräch mit dem Geschäftsträger Prinz Otto von Bismarck zu ersuchen, einem Enkel des großen Kanzlers. Churchill trug ihm seine Sorgen über Hitlers Partei vor – diese sei verantwortlich für die Verschlechterung der auswärtigen Beziehungen Deutschlands in der letzten Zeit. Laut dem Gesprächsprotokoll, das Bismarck anschließend an die Berliner Zentrale schickte, war Churchill «überzeugt, dass Hitler oder seine Gefolgsleute bei erster Gelegenheit zu den Waffen greifen würden». Seit dieser Zeit hatte Churchill die deutschen Entwicklungen immer auf seinem Radarschirm.
Schon nach der Rückkehr von seiner Reise zu den Schlachtfeldern Marlboroughs greift er im Oktober 1932 vor dem Unterhaus Passagen aus dem Essay von 1924 wieder auf und stellt sie in größeren Zusammenhang: «Jetzt verlangen die Deutschen Parität in der Rüstung.
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