Oscar by David Dosa

Oscar by David Dosa

Autor:David Dosa [Dosa, David]
Die sprache: deu
Format: mobi
ISBN: 9783426558539
veröffentlicht: 2013-07-06T22:00:00+00:00


Zeit, die man mit Katzen verbringt,

ist niemals vergeudet.

Colette

12

Ich brannte darauf, Mary von meinem Gespräch mit Jeanne Ferretti zu berichten, doch das musste bis morgen warten. Es war schon halb fünf Uhr nachmittags, und das Personal der Tagschicht war nach Hause gegangen. Außerdem musste ich noch eine neue Patientin untersuchen. Als ich im Erdgeschoss auf den Aufzug zuging, wurde ich von einer vertrauten Stimme aufgehalten.

»He, Sie da!«, rief Ida von ihrem Rollstuhl aus. »Wo rennen Sie denn wieder hin?«

»Ich habe lange Beine, Ida«, scherzte ich, »und die muss ich ständig gebrauchen.«

»Ach ja, an diese Tage erinnere ich mich nur zu gut. Zu viele Termine, nicht genug Zeit, um alles zu erledigen. Und alles ist anscheinend immer ungeheuer wichtig.«

»Wollen Sie mir damit etwa sagen, dass ich das Tempo drosseln soll?«

»Sie müssen das Leben genießen, Dr.Dosa. Kosten Sie jeden Moment aus!«

Etwas ganz Ähnliches hatte ich gerade in einer E-Mail gelesen. »Komisch«, sagte ich, »gerade hat die Frau eines früheren Patienten mir dasselbe geschrieben.«

»Mit einem früheren Patienten meinen Sie wohl einen toten?«

Ida nannte die Dinge gern beim Namen. Ich nickte. »Eine meiner Patientinnen auf der zweiten Etage. Seit ihr Mann gestorben ist, hat sie erkannt, wie wertvoll die gute Zeit war, die sie zusammen verbracht haben. Die Zeit, als alles einfach ganz normal war.«

Ida zog eine Grimasse, als wollte sie sagen: Davon kann ich ein Lied singen. »Wie geht es eigentlich Ihren Kindern?«, fragte sie. »Verbringen Sie genügend Zeit mit denen?«

»Ich tue, was ich kann.«

»Können Sie mir nicht ein paar Bilder zeigen? Überhaupt, wie wär’s, wenn Sie sich einen Augenblick zu mir setzen?«

Ich zog einen Stuhl heran und holte dann stolz meinen PDA hervor.

»Ach, wieder einer von diesen neumodischen Apparaten, die Sie immer herumschleppen«, meinte Ida. »Da haben Sie wahrscheinlich Ihr ganzes Leben drauf!«

»Mehr oder weniger«, sagte ich und rief ein paar neuere Fotos auf: die Geburtstagsparty meines Sohns, das erste Lächeln meiner Tochter.

»Sie wissen doch«, lautete Idas Kommentar, »Ihre Kinder aufzuziehen, ist das Wichtigste, was Sie je tun werden. Viel wichtiger als die Forschungsgelder, die Sie ständig beantragen, und als irgendein Patient – außer mir natürlich.«

»Für Sie habe ich bekanntlich immer Zeit, Ida.«

»Dann erzählen Sie mir doch mal, was Sie über unseren Freund Oscar herausbekommen haben.«

Ich sah sie erstaunt an. »Woher wissen Sie das denn?«

»Mary hat es mir gesagt. Sie hält mich auf dem Laufenden. Also, was haben Sie herausgekriegt?«

Ich dachte einen Moment nach, bevor ich antwortete. »Ich habe den Eindruck, je mehr ich erfahre, desto weniger weiß ich. Wie kommt es, dass sich eine Katze so verhält?«

»Wer weiß, Dr.Dosa? Wahrscheinlich gibt es irgendeine wissenschaftliche Erklärung, aber ist die letztendlich von Bedeutung? Oscar ist einfach da, wenn es darauf ankommt.«

»So kann man es natürlich durchaus sehen«, sagte ich, »aber ich komme aus einer Familie von Wissenschaftlern. Leute wie ich stellen sich weniger die Frage, ob ein Geist in der Flasche sitzt, als wie er da hineingekommen ist.«

»Eigentlich soll man bei Flaschengeistern darüber nachdenken, welchen Wunsch man erfüllt haben will«, sagte Ida lachend. »Übrigens, sind Sie gläubig?«

»Also, an Flaschengeister glaube ich jedenfalls nicht.« Glaube und Religion sind Themen, über die ich nicht besonders gerne spreche.



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