Der Name der Rose by Umberto Eco

Der Name der Rose by Umberto Eco

Autor:Umberto Eco [Eco, Umberto]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
ISBN: 9783800092079
Herausgeber: Dtv
veröffentlicht: 2011-01-18T23:00:00+00:00


TERTIA

Worin Adson sich in den Schmerzen der Liebe windet, bis William mit dem Text des Venantius kommt, der allerdings, wenngleich entziffert, weiterhin unverständlich bleibt.

In Wahrheit hatte ich, nach meinem Sündenfall mit dem Mädchen, über den anderen schlimmen Ereignissen jener Nacht den Casus schon fast vergessen gehabt, zumal die Beichte vor William meine Seele sogleich erleichtert hatte von den Gewissensbissen, die ich beim Erwachen nach meinem Fehltritt empfunden, so daß mir gewesen war, als hätte ich mit den Worten die Bürde selbst, deren sprachlicher Ausdruck sie waren, dem Bruder anvertraut. Denn wozu dient die heilsame Wohltat der Beichte, wenn nicht zur Entlastung des Sünders von seiner bedrückenden Sündenlast, die er beichtend der Gnade Unseres Herrn übergibt, auf daß ihm mit der Vergebung die Seele von neuem luftig und leicht werde und er den vom Übel gemarterten Leib vergessen kann? – Indes, ich hatte mich ganz und gar nicht befreit. Denn während ich mich in der fahlen und kalten Sonne jenes winterlichen Morgens erging, umgeben vom geschäftigen Treiben der Menschen und Tiere, kamen mir die Ereignisse jener Nacht erneut in den Sinn, doch auf andere Weise, als wären von allem, was da geschehen war, nicht mehr die Reue und die tröstenden Worte der Absolution geblieben, sondern lediglich Bilder von menschlichen Körpern und Gliedern. Zuerst überfiel das Schreckbild der aufgedunsenen Wasserleiche meine erregte Seele, und ich erschauerte vor Entsetzen und Mitleid. Dann, wie um diesen Lemur zu fliehen, wandte mein Geist sich anderen Bildern zu, die mir frisch im Gedächtnis hafteten, und so erschien unwillkürlich, doch unabweisbar vor meinem inneren Auge (dem Auge der Seele, aber mit einer Klarheit, als ob ich's leibhaftig vor mir sähe) das Bild des Mädchens, schön und schrecklich wie eine waffenstarrende Heerschar.

Ich habe mir vorgenommen (als greiser Amanuensis eines niemals zuvor geschriebenen Textes, der jedoch seit Jahrzehnten in meinem Geiste umgeht), ein getreuer Chronist zu sein, nicht nur aus Liebe zur Wahrheit und um meine künftigen Leser zu belehren (was ja durchaus ein höchst ehrenwertes Bestreben ist), sondern auch um mein welkes und müdes Gedächtnis von Visionen zu befreien, die mir mein ganzes Leben lang zugesetzt haben. Infolgedessen muß ich die ganze Wahrheit sagen, dezent, aber ohne falsche Scham. Und hier nun muß ich in klaren Worten berichten, was mir damals im Kopf herumging, ohne daß ich es selber recht wahrhaben wollte, während ich unstet durch die Abtei lief, bald in raschem Trab, um die Bewegungen meines Körpers mit dem heftigen Pochen meines Herzens in Einklang zu bringen, bald innehaltend, um die Arbeit der Bauern und Knechte zu bewundern und mich zu zerstreuen in ihrer Kontemplation, wobei ich mit vollen Lungen die frische Morgenluft einsog wie einer, der sich am Wein berauscht, um Sorgen und Angst zu vergessen.

Vergebens: ich dachte immerfort an das Mädchen. Mein Leib hatte die süße, sündhafte und vergängliche Lust vergessen, die mir das Verschmelzen mit jener zarten Gestalt verschafft, meine Seele jedoch entsann sich aufs lebhafteste ihres Angesichtes, und es wollte mir nicht gelingen, dieses beharrliche Nichtvergessenkönnen irgendwie als pervers zu empfinden. Im Gegenteil,



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