Wer stirbt schon gerne unter Palmen ... Teil 1 - Der Vater by Heinz G. Konsalik

Wer stirbt schon gerne unter Palmen ... Teil 1 - Der Vater by Heinz G. Konsalik

Autor:Heinz G. Konsalik [Konsalik, Heinz G.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-09-30T04:00:00+00:00


XII

Es geschah am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück.

Shirley war aus dem Wald zurückgekommen, ausgeschlafen, voll von Ideen, ein Bündel Kraft auf zwei Beinen. Er hatte seinen großen, dicken Baum gefunden, den richtigen für einen Einbaum.

»Daran werden wir eine Woche nagen«, sagte er. »Ihr Beil ist Mist, Bäcker, das wissen Sie. Stumpf wie ein Neunzigjähriger im Puff. Außerdem ist das Beil nicht die beste Qualität, auch wenn Ihr Made in Germany draufsteht. Wir werden zuerst die Schneide auf Steinen schleifen, sonst hacken wir uns die Lunge aus dem Leib. Aber in einer Woche liegt der Baum!« Er schnupperte in die Luft. »Was gibt's zum Frühstück, Freunde?«

»Kalten Entenbraten und Regenwasser.«

»Lukullisch!« Shirley betrachtete Anne, die den Braten in Streifen schnitt. Wie in grauer Vorzeit benutzte sie dazu einen spitzen Stein. »Sie sehen verändert aus, Anne. Verdammt, die Liebe verschönert jede Frau. Werner, gestehen Sie: Sie haben Ihre Viktoria betrogen.«

»Gehen Sie zum Teufel!« schrie Bäcker. »Sie machen es einem verflucht schwer, anständig zu bleiben …«

Shirley lachte grölend. »Die Anständigkeit wird immer geringer, je südlicher sie am menschlichen Körper herunterrutscht, und ich prophezeie Ihnen, daß Anne –«

Mitten im Satz verstummte er. Auch Bäcker und Anne lauschten.

Plötzlich war etwas um sie, was nicht hierher gehörte. Ein Ton, ganz fern, nur gehaucht, wie ein Röcheln des Windes … Bäcker kannte es bereits, und er dachte: Warum muß es jetzt kommen, gerade jetzt, warum überhaupt? Damals war er ihm schreiend nachgerannt … jetzt war er bereit, davor zu flüchten, sich zu verkriechen, zu betteln, daß es um die Insel herumflog.

»Ein Flugzeug!« sagte Shirley. Anne zog erschrocken die Schultern hoch. Es klang wie ›Schuldig des Mordes‹. »Es kommt auf uns zu. Wir brauchen keinen Einbaum mehr. Jetzt ist Ihre Signalpistole dran, Werner. Wenn da oben kein Blinder fliegt, muß er die rote Rakete sehen.«

Er rannte hinunter zum Strand, und Bäcker hinkte ihm nach, getrieben von Annes entsetztem, flehendem Blick.

Shirley stand nahe am Meer, breitbeinig, wie in den Sand gerammt, und wartete auf das Auftauchen des Punktes am Himmel. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, und seine von der Sonne geblendeten Augen starrten in den wolkenlosen Himmel. Die Signalpistole hielt er entsichert in der Hand, in Hüfthöhe, mit angewinkeltem Arm, um sofort, wenn das Flugzeug auftauchen würde, den Arm hochzureißen und die Rakete abzuschießen.

Er hörte Bäcker kommen, er erkannte ihn an dem hinkenden, knirschenden Schritt. Er drehte sich nicht um, so sicher war er sich.

»Sie haben verloren, Werner!« sagte er. »Jetzt kann ich es zugeben: An den Einbaum habe ich selbst nicht richtig geglaubt. Ich mußte mich dazu zwingen, ein sturer Optimist zu sein. Aber das da oben ist eine reelle Chance, und wir werden sie uns nicht durch die Lappen gehen lassen. So ein Einbaum ist ein verdammt wackliges Ding, auch mit Auslegern. Nicht jeder kann ihn segeln oder paddeln, ich hab's auch noch nicht versucht. Ich bin nur mit ein paar Papuas mitgefahren und habe mir fast die Hose vollgeschissen. Ich hockte in dem schmalen Kahn wie ein Pflaumenmännchen. Aber um von Ihrer autonomen Insel Viktoria wegzukommen, würde ich selbst auf einem Baumstamm übers Meer reiten.



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