Wenn Hitler tot ist, tanzen wir by Heinrich Thies

Wenn Hitler tot ist, tanzen wir by Heinrich Thies

Autor:Heinrich Thies [Thies, Heinrich]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-06-09T22:00:00+00:00


Eine Seefahrt, die ist lustig

Eine dünne Schneedecke lag über Wiesen und Feldern. Eiszapfen ragten von den Dächern herab. Rauch stieg auf aus den Schornsteinen. Sonst schien die Welt stillzustehen. Gefrorene Zeit. Märchenhaft entrückt. Die Sonne strahlte kalt an diesem Januartag und brachte die Winterlandschaft zum Glitzern.

Über das Wasser aber pfiff ein eisiger Wind. Man musste sich etwas überziehen, wenn man sich auf dem Schiffsdeck aufhalten wollte. Hilde war froh, dass sie sich noch den beigefarbenen Baumwollmantel gekauft hatte. Fast im gleichen Ton leuchtete Lesleys Trenchcoat. Der Wind zerrte an den Mänteln der beiden Passagiere, während sie den Blick über den Elbstrand schweifen ließen. Es ging hinaus auf die Nordsee mit Kurs auf England. Harwich war das Ziel.

Lesley war bereits vor Weihnachten nach England gefahren, um die Ankunft vorzubereiten. Sechs Wochen später hatte er Hilde in Celle abgeholt.

Sie atmete tief durch. Sie empfand es als Wohltat, sich den scharfen Wind ins Gesicht wehen zu lassen. Hin und wieder sickerte etwas Wehmut in ihre Stimmung, doch der Jubel, die Freude auf das neue Leben übertönten alle Beklommenheit.

Während der Zugfahrt nach Hamburg hatte sie in einem fort in ihren Taschen genestelt, in Sorge, wichtige Dinge wie ihren Ausweis oder ihr Fotoalbum vergessen zu haben. In der Nacht hatte es leicht geschneit. Doch nur hin und wieder blickte Hilde aus dem Fenster, um die vorbeiziehenden Felder und Wiesen zu betrachten, die in der Sonne glänzten. Ein herrliches Gefühl, dieses Landleben hinter sich zu lassen. Dampfende Misthaufen! Was war denn daran schön?

Und dann das Gewimmel im Hamburger Hauptbahnhof. Alles im Aufbruch. Die Barkassen, die Gischt spritzend durchs Hafenbecken pflügten. Die majestätischen Dampfer, die mit gedehntem Tuten ausliefen. Die hohen Kräne, die große Kisten aus den Schiffsbäuchen hievten. Das Gekreisch der Möwen. Nicht einmal das Schlangestehen vor den Abfertigungsschaltern störte sie. Es steigerte ihr Reisefieber.

Einen Moment lang stand ihr der Abschied in Jarlingen vor Augen. Am Abend vor der Abreise hatte sie mit Lesley ihre Großeltern besucht. Alle Verstimmung schien sich aufgelöst zu haben. Sogar Gertrud waren Tränen über die Wangen gelaufen.

»Denk daran, dass es auch in England Kirchen gibt«, hatte ihr Groß-vater in feierlichem Ton gemahnt. »Der liebe Gott ist überall, vergiss das nicht. Und wir wollen auch für dich beten.«

Während das Schiff den Hamburger Hafen verließ, gingen Hilde Seemannsschlager durch den Kopf, die sie früher mit ihren Großeltern sonntagsmorgens im Radio gehört hatte. »Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise...«

Das Gehämmer auf der Werft Blohm & Voss gab den Takt zu Melodien, die aus dem Innern aufstiegen. Später ließ Hilde den Blick über die Prachtvillen auf den Hügeln von Blankenese schweifen. »Da könnte es mir auch gefallen«, rief sie Lesley herausfordernd zu und zeigte auf die schönen Häuser am Elbufer. Lesley verstand aber offenbar nicht, was sie meinte, und schüttelte nur lächelnd den Kopf.

Auf einmal schallte Musik vom Ufer herüber. Die Melodie kannte sie doch. Natürlich: »Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus ...« Was war das denn für ein merkwürdiger Abschiedsgruß? Und dann erklang eine Geisterstimme. »Und allzeit gute Fahrt«, wünschte da jemand aus dem Nichts.



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