Wehe den Besiegten by Michael Amon

Wehe den Besiegten by Michael Amon

Autor:Michael Amon
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: fredikruger
veröffentlicht: 2014-06-22T00:00:00+00:00


Eine alte Sünde und ein neuer Kommentar

Ich hatte Chiara nach Hause gebracht und kurz geschaut, ob mit Manuela alles in Ordnung war. Wir bedankten uns bei der Hausmeisterin. Chiara würde jetzt übernehmen und auf Manuela achtgeben. Ich schnappte meinen Laptop und ging ins Kaffeehaus, den Kommentar schreiben.

Ich setzte mich ganz hinten in eine gemütliche Ecke, in der man nicht auffiel und auch niemanden beim Verzehr von Kuchen und Kaffee durch den Anblick eines arbeitenden Menschen störte. So rücksichtsvoll war ich schon auf die Welt gekommen. Von den ersten Wehen bis zum Licht dieser dunklen Welt in nur vierzig Minuten. Meine Mutter hatte mich nicht verdient.

Adlerauge sei wachsam!

Der Ferdinand Adler-Kommentar.

Neun Monate sind genug!

Erinnern Sie sich an diesen alten Wahlkampfslogan aus dem vorigen Jahrhundert? Damals ging es um die Herabsetzung der Wehrdienstzeit, und es hieß natürlich „Sechs Mona­te sind genug“, denn es waren damals neun Monate abzudienen.

Jetzt geht es um andere neun Monate, während denen sich alle um das kleine Ding kümmern, das angeblich schon ein beseelter, vollständiger Mensch ist. Nach diesen neun Monaten kann es verrecken. Neun Monate sind sozusagen genug.

Wenn vergewaltigte Frauen in einem Ordensspital aufkreuzen, werden sie weggeschickt, wenn man vermutet, sie könn­ten die ,Pille danach‘ verlangen. Selbst wenn sie ver­recken, werden sie weggeschickt. Frauen werden in ihrer Not bedrängt, wenn sie eine Klinik aufsuchen, weil sie ein Problem nicht anders lösen können. Ist das jene christliche Barmherzigkeit, auf die man sich so gern beruft? Was für Menschen sind das, die notleidende Frauen in zusätzliche Seelennöte stürzen? Selbst der große Kirchenlehrer Thomas von Aquin spricht von einer sukzessiven Beseelung des Embryos entsprechend seinem Entwicklungsstand. Erst wenn der Embryo alle Körperteile voll entwickelt hat, würde Gott die Seele einpflanzen. Für Menschen, die nicht an die Existenz Gottes und einer Seele glauben, ist all das ohnedies theologische Wortklauberei. Wir wissen heute, dass die befruchteten Zellen ­zuerst durch niedrige pflanzen- und dann tierähnliche Entwicklungsschritte gehen, bevor sie eine menschenähnliche Gestalt annehmen. Erstaunlich, dass schon Thomas von Aquin ähnliche Entwicklungsstufen formuliert hat: zuerst ­lebendig, dann Tier und zuletzt erst Mensch. Nach der klassischen Lehre, zurückgehend auf Aristoteles, war die Ausbildung des menschlichen Körpers die Voraussetzung für die Beseelung. Man ging dabei schon damals von ungefähr neunzig Tagen aus. Man betrachtete die Abtreibung zwar als Sünde, weil sie die Entwicklung zu einem beseelten Menschen verhinderte, aber niemals als Mord. Das mittelalterliche Kirchenrecht sagte eindeutig: „Der ist kein Mörder, der eine Abtreibung vornimmt, bevor die Seele dem Körper eingegossen ist.“ Eine Zeitlang stritten mehrere Päpste über diese Frage, und erst 1679 legte sich die Inquisition darauf fest, dass Zeugung und Beseelung simultan erfolgen. Seit damals hat ein Zell­haufen, der in jede Richtung genetisch noch ­manipulierbar ist, angeblich eine Seele. Selbst gläubigen Menschen müsste das eigentlich seltsam vorkommen, und erst 1869 wurde diese Deutung ins Kirchenrecht übernommen. Seit damals wird gestritten und verdammt. In christlicher Barmherzigkeit. Und erfrecht sich, Schwangerschaftsabbruch und Holocaust in einem Atemzug zu nennen.

Wenn ein beherzter und verdienter Polizeibeamter nun endlich dagegen einschreitet, dass Frauen in Not von bigot­ten Frömmlern drangsaliert werden, hört man aus dem Minis­terium nicht etwa Beifall, sondern das unschöne Wort „Suspendierung“.



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