Weg mit Knut! by Jesper Wung-Sung

Weg mit Knut! by Jesper Wung-Sung

Autor:Jesper Wung-Sung
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2017-01-09T16:00:00+00:00


20

William erwacht mit dem Gefühl, dass es Zeit zum Aufstehen ist, dabei ist es mitten in der Nacht. Er sitzt auf dem Bett, die nackten Zehen auf dem Boden. Er kann nichts hören.

Langsam geht er über den Holzboden, dort, wo die Dielen im Flur am wenigsten knacken, den Oberkörper verdreht, damit er nicht mit der Schulter an den gerahmten Bildern hängen bleibt. Er weiß, dass auch ein Foto von ihm darunter ist, mit ausgestreckten Armen, geschlossenen Augen, offenem Mund und Haaren, die senkrecht in die Luft stehen, weil er auf der wildesten Rutsche nach unten saust.

Seine Oberschenkel schmerzen vom Strampeln im Tretboot. Er kommt am Schlafzimmer seiner Eltern vorbei, die Tür steht einen Spalt offen.

Aus dem Wohnzimmer dringt Licht. Die Kerze auf Omas altem Waschtisch flackert. Sie ist fast bis auf den vergoldeten Ständer hinuntergebrannt. Das gehört zu den Dingen, die seine Eltern sich angewöhnt haben: Jeden Tag stellen sie dort eine frische Kerze auf. Und es wird keine weitere Kerze im Wohnzimmer angezündet.

Als William sich nach vorne beugt, um sie auszupusten, fühlt er sich beobachtet.

Sein Vater liegt auf dem Sofa, ein Kissen im Nacken. Es sieht aus, als würde er William anschauen, aber er schläft. Williams Eltern schlafen nicht mehr zusammen. Meistens übernachtet sein Vater im Gästezimmer.

Papa hat seine Beine ungelenk angewinkelt und die Arme vor der Brust verschränkt, als würde er frieren. Er bewegt sich nicht und William pustet die Kerze aus. Jetzt ist Papa nur noch ein Schatten auf dem Sofa.

William denkt gerade, dass ihn wohl die brennende Kerze geweckt hat, als sein Blick in den Garten fällt. Im Mondlicht sieht es aus, als wäre ein Loch im Rasen. Wie der Eingang zu einer Höhle oder einem Tunnel.

Die Betonstufen sind so kalt, dass William die Zehen einrollt. Vorsichtig zieht er die Terrassentür hinter sich zu, eine angenehme, kühle Brise streift seinen Nacken. Das Gras ist lange nicht gemäht worden und seine Füße werden nass vom Tau. Aber da ist kein Loch im Rasen, es ist nur Williams Floß. Er ist erleichtert und enttäuscht zugleich. Aus irgendeinem Grund streckt er die Arme aus und öffnet die Handflächen. Seine Füße sind klitschnass, vielleicht will er sich vergewissern, dass es nicht regnet.

»William, nehme ich an.«

Er zuckt zusammen, als hätten seine Finger einen elektrischen Zaun berührt. »Knut!«

Sofort spürt William die Müdigkeit in den Beinen und setzt sich auf das Floß, um nicht nass zu werden. Seine Beine sind länger, als das Floß breit ist. Ihm fehlen immer noch Stämme. Knut sitzt fünf oder sechs Meter entfernt oben im Pflaumenbaum.

»Was machst du hier draußen?«, fragt William.

Der Schatten des Baums fällt auf Knuts Gesicht, er hat die Knie bis zur Brust gezogen und die Arme um die Schienbeine geschlungen. Er trägt seine übergroßen Secondhandklamotten, nur seine Turnschuhe leuchten im Mondlicht wie Muscheln.

Er tut William leid. Er sieht Knut als das herumirrende Mobbing­opfer, das er ist, und er hat ein schlechtes Gewissen. Er hat ihn in letzter Zeit vernachlässigt. Es ist bestimmt nicht leicht, der weiße Scheiß genannt zu werden. Es ist nicht leicht, wenn alle Weg mit Knut! Weg mit Knut! singen, sobald man irgendwo auftaucht.



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