Wassermann, Jakob: Christoph Columbus. Der Don Quichote des Ozeans. Eine Biographie. 1929 by Jakob Wassermann

Wassermann, Jakob: Christoph Columbus. Der Don Quichote des Ozeans. Eine Biographie. 1929 by Jakob Wassermann

Autor:Jakob Wassermann [Wassermann, Jakob]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Tags: Biographie
Herausgeber: S. Fischer Verlag
veröffentlicht: 2011-01-30T23:00:00+00:00


Zehntes Kapitel

Die abgeleugnete Wirklichkeit

Es wird eine Begebenheit erzählt, aus der mit der Schlagkraft einer Parabel hervorgeht, wie die Indios, mehr und mehr erschüttert in ihrem Glauben an die Fremdlinge, sich die Gewißheit zu verschaffen trachteten, daß die vom Himmel gekommenen Männer nicht unsterblich seien, wie sie anfangs gewähnt hatten. Die Mannschaft des Forts San Tomas, zu dessen Kommandanten Columbus einen Edelmann namens Pedro Margarite ernannt hatte, wütete gegen die Eingeborenen mit jener Brutalität, die keine angestammten Rechte achtete und die allmählich stumpfe Gewohnheit bei den zügellosen Horden wurde, die Spanien über die neue Welt losließ wie eine fressende Plage. Sie nahmen den Indios ihren Goldschmuck weg, sie leerten ihre Speicher, sie raubten und entführten ihre Frauen und Töchter, und die schmachvollsten Mißhandlungen waren an der Tagesordnung. Der Kazike Caonabo, der die Vega real beherrschte, die Königsebene, in der das Fort lag, war aber ein entschlossener und tapferer Mann, er versammelte die Leute seines Stamms um sich und löste die Fessel der Fügsamkeit von ihrem Geist. Um ihnen zu beweisen, daß die Fremden durchaus nicht die übernatürlichen Kräfte besaßen, die sie fürchteten, daß die angeblichen Himmelssöhne genau so dem Tode erliegen müßten wie sie selbst, veranstaltete er vor ihren Augen eine Probe. Die Spanier bedienten sich gewöhnlich eines oder mehrerer Indios, um sich durch die Furt des Flusses tragen zu lassen, der die Festung von der Ebene trennte. Als dieser eines Tages vom Regen angeschwollen war und ein Ritter dennoch darauf beharrte, nach dem andern Ufer gebracht zu werden, befahl der Kazik den Trägern, mit dem himmlischen Gast den Versuch zu machen, ob ihm das Ertrinken nichts anhaben könne. In der Mitte des Flusses ließen sie den Spanier von den Schultern gleiten und hielten ihn so lange unter Wasser fest, bis er sich nicht mehr rührte. Dann trugen sie ihn ans Ufer, wo sich die gesamte Einwohnerschaft des Dorfes um den Leichnam herumsetzte und wartete, ob er wieder erwachen werde. Drei Tage saßen sie um den Toten herum, und erst als der Körper zu verwesen begann, waren sie überzeugt, daß der vermeintliche Gott nur ein sterblicher Mensch gewesen war. Die Gewißheit befreite sie von der Angst, von der Ehrfurcht, die sie gelähmt hatte, und die Kunde von dem wunderbaren Ereignis wurde jubelnd von Stamm zu Stamm getragen.

Schwache und zaudernde Charaktere lassen sich leicht zu überstürzten Maßnahmen hinreißen. Haben sie versäumt, zur richtigen Stunde mit Festigkeit zu handeln, so trachten sie den Fehler durch übermäßige Härte auszugleichen, und sind sie bei falschem Anlaß langmütig und nachsichtig gewesen, so vervielfachen sie das Übel, indem sie bei einem andern, nicht weniger falschen zum Wüterich werden.

In der Dienstvorschrift, die der Admiral dem Pedro Margarite erteilte, wird ihm als Hauptsorge ans Herz gelegt, darüber zu wachen, daß den Indios kein Leids geschehe, daß ihnen nicht das geringste gegen ihren Willen genommen, vielmehr alle vernünftige Rücksicht erwiesen werde. Das klingt, als wäre es so gemeint. Es ist aber nicht so gemeint. Denn gleich darauf heißt es: »Weil es vorgekommen ist, daß die Wilden Diebstähle an uns verübt



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