Vor dem Regen kommt der Tod by Lieneke Dijkzeul

Vor dem Regen kommt der Tod by Lieneke Dijkzeul

Autor:Lieneke Dijkzeul
Die sprache: deu
Format: epub


Die Nachbarn der Wohnung mit der Nummer hundertsiebzig waren nicht zu Hause, aber die von Nummer hundertsechsundsechzig konnten die Identität des Mädchens lüften. Detty Roemers. Sie wohnte mit Leanne Sint zusammen, die allerdings in Urlaub war. Wo, wussten die Nachbarn nicht.

Detty Roemers war neunzehn und studierte im zweiten Jahr Niederländisch. Sint studierte ebenfalls, aber was, wussten die Nachbarn nicht, weil Sint nie oder kaum mit ihnen sprach.

»Die Gute trägt die Nase ein bisschen hoch«, sagte die Nachbarin. Sie war um die vierzig und so stark blondiert, dass ihre Haare beinahe farblos aussahen. Ein hartes Gesicht mit frühen Falten um Nase und Mund. Sie hatte mit den anderen vor dem Haus gestanden, zusammen mit ihrem Mann, einem kahl rasierten Muskelprotz mit Ohrring, der die Namen seiner Kinder auf dem Arm tätowiert trug. Wendy und Mitchell.

»Detty war anders. Detty war wirklich ein Schatz.« Die Nachbarin wischte sich die Augen. »Immer freundlich, immer zu einem kurzen Plausch aufgelegt. Ich glaube, Leanne hat reiche Eltern. Zumindest zahlt ihr Vater die Miete.« Sie zog eine Zigarette der Marke Belinda aus der Schachtel, die vor ihr auf dem Tisch lag. »Und das heißt doch wohl, dass er eine Menge Geld hat.«

»Sie kennen Dettys Eltern nicht?«

Sie schüttelten den Kopf.

»Oder die Universität, an der sie studierte?«

»Nein.« Die Nachbarin führte ein Feuerzeug an ihre Zigarette und inhalierte tief. »Wir gehören nicht zu der Sorte Menschen, die so etwas weiß.«

»Sie könnte es Ihnen erzählt haben«, sagte Vegter milde.

Sie befanden sich in einer blitzsauberen Wohnung. Das dunkle Eichenparkett war poliert, die Fenster glänzten, die Pflanzen in identischen Übertöpfen standen in identischen Abständen auf der Fensterbank. Das Einzige, was diese Ordnung störte, war der große Boxer, der sie sabbernd empfangen hatte, dann aber in einen etwas schmuddeligen Korb verwiesen worden war, von dem aus er sie beleidigt beobachtete.

»Wissen Sie, wo Detty den Abend verbracht haben könnte?«

»Im Kino«, sagte die Nachbarin, ohne zu zögern. Und auf Vegters erstaunten Blick hin: »Dort hat sie am Wochenende immer gejobbt, um etwas Geld zu verdienen. Mit Studienbeihilfe allein kommt man nicht weit, und anscheinend konnten ihre Eltern sie nicht so unterstützen wie die von Madame Sint.«

Woher diese Gehässigkeit?, dachte Vegter. War das der Neid der Arbeiterklasse auf die Bessergestellten?

»Wissen Sie, in welchem Kino?«

»Das hat sie mir zwar erzählt, aber ich habe es wieder vergessen.« Die Nachbarin wandte sich Hilfe suchend an ihren Mann.

»Im Cinema«, sagte dieser. Es war das erste Mal, dass er den Mund aufmachte. Er saß entspannt in seinem Sessel. Der linke seiner behaarten Arme war deutlich gebräunter als der rechte.

Quietschend ging die Tür auf. Ein etwa achtjähriges Mädchen stand auf der Schwelle. »Ma-am …«

Das muss Wendy sein, dachte Vegter.

»Komm her, mein Schatz.« Wendys Mutter legte ihre Zigarette in den Aschenbecher, nahm das Kind auf den Schoß und griff wieder zur Zigarette.

»Wer ist das?« Wendy trug ein knallrosa Schlafanzugoberteil, auf dem Mommy’s darling stand. Sie hatte dieselben stahlblauen Augen wie ihr Vater.

»Die Polizei«, sagte ihre Mutter. »Detty ist tot. Sie wurde …«

»Halt den Mund.« Ihr Mann stand auf, nahm der Mutter das Kind vom Schoß und trug es hinaus.



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