Vom Schlafen und Verschwinden by Katharina Hagena

Vom Schlafen und Verschwinden by Katharina Hagena

Autor:Katharina Hagena [Hagena, Katharina]
Die sprache: deu
Format: mobi
ISBN: 9783462306132
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Die Bettdecke raschelt ohrenbetäubend. Schwer wie ein Bewusstloser liegt sie auf meinem Körper. Der Rosendruck auf dem Bezug macht den Stoff hart. Das Laken ist aus etwas gemacht, das aufgeraute Baumwolle heißt, wahrscheinlich bedeutet das, dass man Hautabschürfungen bekommt, wenn man sich darauf umdreht. Außerdem sind da Krümel im Bett, sie sind von vorgestern, trocken und spitz wie Rollsplitt, und sie bohren sich in meine Oberschenkel. Ich ersaufe in dem weichen Kissen, es schiebt sich vor meine Nase, meinen Mund und stellt sich in meinen Atem, sodass er wieder in mein Gesicht zurückbläst. Die Matratze droht mich zu verschlingen. Ich muss aufstehen, sofort. Mit Schwung setze ich mich auf die Bettkante und sehe silberne Punkte vor meinen Augen tanzen. In meinen Ohren rauscht das Blut, und ich höre ein hohes Sirren. Niedriger Blutdruck ist manchmal wie eine Fahrt im Raumschiff. Ich sitze und warte, dass die Sterne verschwinden und das Sirren abebbt. Orla reist durch das Universum, wenn sie unter einem Hochspannungsmast auf dem Rücken liegt und durch den Gittertrichter in die Luft schaut. Heidrun lag in ihrem Zimmer und wartete auf den letzten Atemzug, den Abendzug ins Schattenreich. Sie würde ihn nicht verpassen, er würde da sein und warten, und sie würde passieren.

Sie war schon immer viel Zug gefahren. Heidrun kam von einer Insel in der Nordsee. Als läge er in einem Krater-Kreise auf einem Mond, ist jeder Hof umdämmt, rezitierte Joachim gern, wenn wir über Heidruns Heimat sprachen. Es war nur eine kleine Insel, aber mit einem breiten Strand, der im Herbst und Winter, wenn die Strandkörbe eingelagert waren, tatsächlich auf dem Mond hätte liegen können.

– Hinterm Mond, meinst du wohl, sagte Heidrun und hob die linke Braue. Sie konnte nur die linke einzeln heben, wenn sie die rechte heben wollte, musste sie die linke mitnehmen. Als sie im Koma lag und schlief, zog sie die Brauen nur selten hinauf, dafür oft so stark zusammen, dass sie sich fast über der Nasenwurzel trafen. Ich wusste nicht, ob ihr etwas wehtat, aber ich konnte es mir vorstellen.

Autos gab es auf Heidruns Insel nicht, der Arzt besaß ein Motorrad. Doch, die freiwillige Feuerwehr hatte ein Feuerwehrauto mit Sirene und Wasserschlauch. Deshalb waren auch alle Männer Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr.

Die Insel liegt im Watt, Heidrun und ich sind oft dort gewesen, als ich noch klein war. Später nicht mehr so häufig, denn irgendwann starb ihr Vater, mein Großvater, ein stiller, in sich gekehrter Mann, den man kaum wahrnahm und der auch andere kaum wahrnahm. Er hatte ein schwaches Herz, sagte Heidrun. Er war viel älter als die Großväter meiner Klassenkameraden.

Heidrun hatte einst vier große Brüder, der jüngste war fünf Jahre älter als sie, aber keiner von ihnen ist mehr da. Als Heidrun zehn Jahre alt war, verschwand innerhalb von vierzehn Monaten einer nach dem anderen. Der jüngste zuerst. Er starb auf einer Klassenfahrt. Beim Drängeln am Bahnhof wurde er auf die Gleise geschubst und von einem einfahrenden Zug überrollt. Der älteste wanderte nach Neuseeland aus, er arbeitete auf Farmen. Wenn eine Karte von ihm ankam, war er meistens schon wieder auf einer anderen Farm.



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