Vom Dorf by Antje Rávic Strubel
Autor:Antje Rávic Strubel
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: dtv
veröffentlicht: 2011-08-12T09:45:41+00:00
Das Zittern in den Armen hat nachgelassen. Die Energie ist noch da, genug Spannung, um mich ans Schreiben zu machen. Ich muà das Protokoll hier abbrechen. Es scheint, als würde mir jetzt alles leicht von der Hand gehen â
Unter der Plane
Ich wollte mich mit meiner Freundin vom Dorf bei mir zu Hause zum Abendessen verabreden. Es war der vierte Advent. Der vierte Advent war in meiner Küche so gut wie unsichtbar. Lichterketten gibt es dort immer. Ich hatte nur einen kleinen Nikolausstiefel vorbereitet und eine einzige Kerze angezündet, es sollte eine Nacht voller neuer Ideen werden, geordneter Ideen, eine Nacht voller langsamer, geradliniger Gedanken, nachdem mein Bruder im letzten Jahr nicht alles verstanden hatte. Wir hatten wie immer unter dem Weihnachtsbaum gelegen, Eltern rechts, Kinder links, ich hatte gelesen, und als ich beim führerlosen Trabant angelangt war, hatten sich meine Eltern und mein Bruder ratlos angesehen und mir im Licht der künstlichen Baumkerzen dann vage Komplimente gemacht, denen anzumerken war, daà sie nicht stimmten. Auf die Ebene des Klamauk wollte sich niemand herablassen, schon gar nicht am Heiligen Abend.
»Deinen Weihnachtsspuk kannste dir stecken«, sagte meine Freundin vom Dorf am Telefon am Morgen des vierten Advent.
»Was?«
»Du und dein Bruder, deine ganze feine Familie. Such dir jemand anderen dafür. Mir reichts.«
»Mir auch. Aber wieso redest du hochdeutsch.«
»Stell dir vor«, sagte sie. »Stell dir das mal vor. Daà ich so was kann, was, das hättest du nicht gedacht.«
»Aber wieso redest du dann sonst Slang?«
»Ich kultiviere das. Aber das hast du noch nie mitgekriegt, was? Du denkst, ich bin einfach nur eine, die sich jedes Jahr irgendeinen Quark für deine idiotischen Geschichten einfallen läÃt und sich darin als Dialekt redende Hauptfigur lächerlich macht. Damit du es leichter hast.«
»Aber es ist nicht leicht.«
»Du denkst, ich laà mich einfach ausbeuten, während die feine Lady sich lieber anderweitig vergnügt. Pralinen futtern, ja?«
»Aber du hast es doch gern gemacht.«
»Oh ja, ich kann mir nichts Besseres vorstellen, als von dir an der langen Leine gehalten zu werden.«
»Was denn für eine Leine? Und Pralinen finde ich eklig, das weiÃt du doch.«
»Vergià es. Glaub einfach weiter, daà ich immer für dich da bin. Daà ich auch immer für andere das Maul aufreiÃe. Weil es ja sonst keiner macht. Weil die anderen lieber ihre Klappe halten. Das glaubst du doch, oder? Das eine wie ich das so macht. Nur ist es ja so: Die, die das Maul aufreiÃt, kriegt am Ende alles ab, nicht die anderen. Für die anderen hat man dann eben Pech gehabt.«
»Was meinst du denn mit abkriegen?«
»Was weià ich. Strafversetzt in die Produktion. Gemobbt am Arbeitsplatz, wie man heute dazu sagt.«
»Aber wir haben doch Redefreiheit. Dafür haben wir gekämpft!«
Sie atmete durch. »Du hast die Wahrheit auch gepachtet, oder?«
Ein Chor ging bei ihr im Hintergrund vorbei und sang.
»Ich nehme gerade die Gans aus«, sagte ich. »Vielleicht telefonieren wir später nochmal.«
»Du holst die gun raus?« sagte meine Freundin. »Klar. Wenn sie nicht weiterwissen, holen sie alle die gun raus.« Ich legte auf und spülte meine blutigen Hände, die eigentlich sauber waren.
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