Vogel, David by Eine Wiener Romanze

Vogel, David by Eine Wiener Romanze

Autor:Eine Wiener Romanze
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


12

Es war gegen siebzehn Uhr, als Rost das Kaffeehaus und den über seinem Glas brütenden Offizier verließ. Schön war es, ohne Eile durch die sonntäglichen, halb leeren, feuchten Straßen zu schlendern, die nach dem vergangenen Regen rochen. Die leuchtend grünen Baumwipfel an der Straße ließen vereinzelte, späte Tropfen auf seinen unbedeckten Blondschopf fallen, der nur so strotzte vor Freiheit und Selbstwertgefühl. Er spürte die Kraft, alles zu erobern, sich all seine Herzenswünsche zu erfüllen. Großzügig ließ er seinen Blick über vorüberfahrende Kutschen schweifen, über Automobile und Passanten. Gut, dass all das hier greifbar nahe war, greifbar für ihn, zu seinem Vergnügen und Wohlbefinden. Und es war gut, dass es geregnet und wieder aufgehört hatte und dass es jetzt Tag war, ein etwas elegischer Tag, weich, zögernd, scheu, und dass dann der Abend einziehen würde, vielleicht ein ruhiger und verhaltener Abend, und schließlich die Nacht, mit einem etwas anderen Duft als die übrigen, als die davor und danach, ihnen ähnlich und unähnlich zugleich, wie eine neue, unbekannte Frau. Jeder neue Tag erforderte einen neuen Menschen, sauber wie ein neugeborenes Kind, ohne die Last des Gestern.

Rost verwendete einen kurzen, geringschätzigen Gedanken auf den hochgewachsenen Offizier, der offenbar auf einen bestimmten Tag oder eine bestimmte Sache fixiert war, ohne sich davon lösen zu können, völlig verloren für alle übrigen Tage und Dinge, dieser Offizier, der dort ein Glas nach dem anderen runterschüttete, um eine Barriere zu seiner Welt zu errichten. Von Brunnhof trank, weil er Angst hatte. Er, Rost, hatte keine Angst.

Geistesabwesend blieb er vor einem Spielwarenladen stehen. Als er sich dabei ertappte, lächelte er und schlenderte weiter. Durch verschlungene Gedankengänge landete er bei Erna und fühlte sich schlagartig von einer Woge der Lust überspült. Er beschleunigte seine Schritte und bog in die Gasse, die heimwärts führte. Dort hatte er noch nicht mal den Morgenrock übergezogen, als es zögernd an seiner Tür klopfte und Gertrud eintrat. Ohne ein Wort drückte sie Rost ihren vollen, feuchten Mund auf die Lippen, presste sich mit ihrem ganzen, lodernden Körper so fest an ihn, als wolle sie in ihn dringen. Dann sank sie erschöpft auf einen Stuhl. Sie wirkte etwas niedergeschlagen.

»Ich habe auf dich gewartet«, sagte sie nach einer Weile, »Georg ist mit Erna zur Schwiegermutter gegangen. Ich habe mich unter dem Vorwand von Kopfweh gedrückt.«

Rost zog einen Stuhl heran und setzte sich zu ihr. Nahm ihre Hand und streichelte sie ein paarmal beschwichtigend. Die trübe Außenwelt lugte durch die Fenster, deren schwere Vorhänge beiseitegeschoben waren und über den Fensterbänken von Kordeln gehalten wurden. Tiefes Schweigen lastete im ganzen Haus. Von der kleinen Straße drang kein Laut herein. Gertrud saß reglos, in Gedanken versunken. Die Schöße ihres zitronengelben Kimonos waren zur Seite gerutscht und entblößten schneeweiße Schenkel zwischen Strümpfen und Unterhose. Den Kopf leicht schräggelegt, blickte sie in die Ferne, über Rost hinaus. Mit Grauen dachte sie an die Überfälle ihres Mannes die Nacht zuvor, die sie nur mit Mühe hatte abwehren können. Aber würde sie sich denn immer so entziehen können, ohne Verdacht zu erregen? Ohne



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