Vielleicht Marseille by Katerina Poladjan
Autor:Katerina Poladjan [Poladjan, Katerina]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783644120310
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-08-27T16:00:00+00:00
Vier
Dieser Luc Gaspard hat nicht gelogen. Es gibt einen Chemin-Raoul-Coutard in Marseille. In der Dose auf dem Küchenschrank sind dreihundert Euro. Er wird sich an die Autobahnauffahrt stellen und trampen. Auf eine Pappe schreibt er Marseille.
Nach einer Ewigkeit hält ein silberner Audi.
Wir fahren nach Karlsruhe, immerhin deine Richtung, willst du mit?
Am Steuer ein Mann mit Baseballkappe, auf dem Beifahrersitz ein Junge von vielleicht fünfzehn Jahren, der ebenfalls eine Kappe trägt. Theo rutscht auf die Rückbank, neben ihm ein großer, verschlossener Korb.
In Karlsruhe kannst du entweder weitertrampen, oder du nimmst den Zug nach Marseille.
Im Radio erzählt jemand von seiner Alkoholsucht, und der Vater, wenn es der Vater des Jungen ist, hört aufmerksam zu. Der Trinker im Radio betont, er müsse nicht trinken, er wolle trinken, und das sei der Unterschied, doch leider gebe es immer wieder Menschen, die ihn für süchtig hielten. An dieser Stelle nickt der Fahrer zustimmend. Der Trinker beginnt von neuem, er müsse nicht trinken, er wolle trinken, das sei ein Unterschied. Schläft die Moderatorin, oder warum unterbricht sie ihn nicht? Der Deckel des Korbes neben ihm ist an mehreren Stellen mit Drahtschlaufen verschlossen. Theo will gerade fragen, was sich in diesem Korb befindet, da klingelt sein Telefon.
Immobilienbüro Römer, Erik Römer am Apparat, Herr Rauch, es geht um das Objekt bei München. Bei Ihnen ist es so laut!
Herr Römer, ich bin im Auto auf dem Weg nach Karlsruhe.
Wäre Ihnen denn morgen Nachmittag gegen siebzehn Uhr eine Besichtigung des Hauses recht?
Ausgezeichnet. Falls ich nicht persönlich anwesend sein kann, sage ich meiner Sekretärin, sie soll den Schlüssel unter die Fußmatte legen.
So machen wir das, Herr Rauch, phantastisch!
Der Schlüssel liegt nicht unter der Fußmatte. Vielleicht wird er diesem Römermakler sagen, wo er wirklich ist, dann kommt Ann nach Hause, und – dissapeng – das Haus ist verkauft. So wolltest du das doch, oder, Mama? Er meint ein Rascheln aus dem Inneren des Korbes zu vernehmen.
Was ist in dem Korb?
Der Junge dreht sich um und grinst. Hast du Angst vor Schlangen?
Dadrinnen ist eine Schlange?
Schröder, ein Python, zwei Jahre alt. Der Junge reckt sich nach hinten und beginnt an einer der Drahtschlaufen zu fingern. Eine Schlange fühlt sich wie ein Teppich an, wie eine riesige Zunge, ein rasierter Schädel, warm und trocken. Willst du?
Vielleicht später, winkt Theo ab.
Alle zwei Wochen verschlingt Schröder eine Ratte. Er würde aber auch ein Schaf verschlingen.
Verstehe.
Schröder ist sehr krank.
Was fehlt Schröder?
Wir wissen es nicht. Er wirkt seit einigen Wochen äußerst niedergeschlagen. Wir fahren nach Mannheim zu einem Spezialisten.
Theo erkundigt sich nicht weiter nach den Therapiemöglichkeiten für große Würgeschlangen.
Mit elf habe er seinen ersten Schnaps probiert, erzählt der Trinker, später habe man ihm gesagt, seine Augen seien Tropfen, ihm stehe der Wodka darin, und tatsächlich sei er oft überwältigt. Wovon der Trinker überwältigt ist, erfährt man nicht, weil er von den Nachrichten unterbrochen wird. Vielleicht ist der Trinker von seinem langsamen Krepieren überwältigt, er ist Al Kretyns einsamer Bruder. Ein Poet. Die Welt ist grob, er aber bleibt gut. Wodkawellen schleifen seine Organe, er versucht, Lehm zu fressen, er
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