Vertrauen Ist Gut: Roman by Acklin Jürg

Vertrauen Ist Gut: Roman by Acklin Jürg

Autor:Acklin, Jürg [Acklin, Jürg]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783312003648
Google: S1SvPQAACAAJ
Herausgeber: Nagel & Kimche
veröffentlicht: 2009-06-14T22:00:00+00:00


«Was ist los?», rief endlich mein Bruder.

«Ich bin in der Küche, am Boden!»

Da stand er auch schon bei mir. Die Schwägerin direkt hinter ihm. Beide waren nur in Unterwäsche, ihre Gesichter gerötet, als hätten sie bereits einiges getrunken.

So sieht der Bruder manchmal aus, wenn sie am Abend spät nach Hause kommen. Es ist mir unangenehm, wenn er angeheitert ist und noch lauter redet als sonst. Ich habe nur Angst, er könnte die Kontrolle über sich verlieren und aggressiv werden. An diesem Abend war er jedoch erstaunlich schnell nüchtern.

«Ruf den Arzt, schnell», sagte Sonja. «Bei dem vielen Blut könnte das Nasenbein gebrochen sein. Hoffentlich ist es nicht schlimm.»

Mir war vor allem peinlich, dass ich es nicht geschafft hatte, die Fußstützen ohne Zwischenfall vom Rollstuhl abzuhängen.

«Das ist das Letzte», stieß ich immer wieder hervor, «das Letzte! Ich kann aber nichts dafür.»

«Hör doch endlich damit auf», fuhr mein Bruder mich an.

«Das ist jetzt wirklich nicht das Problem.»

Der Arzt am Telefon ließ sich die Situation genau schildern.

«Ja, er ist ansprechbar», erwiderte mein Bruder. «Nein, sonst ist am Kopf nichts zu sehen. Danke. Ja, danke, ich rufe Sie gleich noch mal an.»

Dann stemmte mich mein Bruder zusammen mit seiner Frau hoch. Zum Glück ist er ziemlich kräftig, er muss nur auf seinen Rücken achten, damit er nicht einen Hexenschuss bekommt, wie früher unser Vater. Wegen meiner Spasmen ist es gar nicht so einfach, mich aufzurichten.

Mein Bruder umfasste mich von hinten und zog mich hoch, die Schwägerin hielt mich an den Oberschenkeln und schob mich gegen den Rollstuhlsitz. Ihr BH war nachher blutverschmiert, mein Bruder sah aus, als hätte er selber Nasenbluten. Aber ich saß wieder im Rollstuhl.

Mein Bruder hat noch mal den Arzt angerufen, der ihm genaue Anweisungen gab. Sonja hat mich vorsichtig abgetupft und gereinigt. Mein Bruder stand mit dem Telefon am Ohr gestikulierend vor dem Fenster, seine halbnackte Gestalt spiegelte sich im dunklen Glas.

«Nein, der Arzt kommt nicht vorbei, er ist aber jederzeit telefonisch erreichbar», teilte er uns anschließend mit.

Sehen Sie, es ist nicht so, dass ich bloß Hirngespinste habe.

Was hätte ich denn in dieser Situation, die wirklich passiert ist, gemacht, wenn ich im Haus allein gewesen wäre?

Gestorben wäre ich sicher nicht, aber so machtlos am Boden zu liegen, mit der schmerzenden Nase und dem Blutverlust, ohne zu wissen, ob ich ernsthafte Verletzungen habe, da wäre ich bestimmt von meiner Angst überwältigt worden. Mein Alarmgerät, das ich am Arm trage, war durch den Aufprall weggeschleudert worden, für mich unerreichbar, ich kann mich am Boden praktisch nicht bewegen, obwohl das seit meiner Kindheit das Bemühen der Physiotherapie ist, mit nur geringen Fortschritten, leider. Stunden wäre ich am Boden liegen geblieben, wenn ich allein zu Haus gewesen wäre, bis mich die Frauen vom mobilen Pflegedienst gefunden hätten. Und stellen Sie sich einmal vor: Da kommt dann am späten Morgen eine von diesen Frauen und sieht mich auf dem Boden. Sie schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. «Um Gottes willen, was ist denn jetzt schon wieder passiert? Ja was haben Sie denn angestellt?»

So etwas möchte ich nicht erleben, diese Beschämung.



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