Urteil in Stein by Rendell Ruth

Urteil in Stein by Rendell Ruth

Autor:Rendell, Ruth [Ruth, Rendell]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-05-12T17:00:00+00:00


»Wie feierst du die Geburt unseres HERRN?« fragte Joan im Tonfall eines Menschen, der einen Freund zu einer Geburtstagsfeier einladen will.

»Wie bitte?« fragte Eunice.

»Weihnachten.«

»Ich muß in der Hall bleiben. Sie kriegen Besuch.«

»Ist es nicht eine Schande, daß du den Geburtstag des HERRN mit Sündern und Ungläubigen verbringen mußt? Da ist einer nicht besser als der andere. Mrs. Higgs, die Fahrrad fährt, hat mir erzählt, daß dieser Giles mit katholischen Priestern Umgang hat. GOTT will nicht, daß Menschen wie er dich verunreinigen, meine Liebe.«

»Er ist ja noch ein Junge«, sagte Eunice.

»Das kann man aber nicht von seinem ehebrecherischen Stiefvater behaupten. Wagt es dieser Mensch doch, hierherzukommen und Norm zu beschuldigen, daß er angeblich seine Post geöffnet hat! Oh, wie weit werden die Ungläubigen in der Verfolgung der Auserwählten noch gehen! Warum kommst du nicht zu uns? Wir werden natürlich sehr still feiern, aber ich glaube, ich kann dir eine gute Mahlzeit und die Gesellschaft liebender Freunde garantieren.«

Eunice sagte, sie käme gern.

Sie tranken Tee in Joans schmutzigem Wohnzimmer, und der dritte liebende Freund, in der Gestalt von Norman Smith, kam eben herein und hielt Ausschau nach seinem Abendessen. Anstatt es ihm zu holen, erging Joan sich in einer Neufassung ihres Bekenntnisses.

»Du hast stets ein reines Leben geführt, Eun, du kannst dir daher nicht vorstellen, wie das meine war. Ich habe meinen Körper, den Tempel des HERRN, dem Abschaum von Shepherd’s Bush hingegeben. Habe mich ihren schmutzigen Begierden ausgeliefert, ihre widerlichen Wünsche erfüllt, Dinge getan, die ich vor einer Dame nie aussprechen würde. Und warum? Um des schnöden Mammons willen, den mein unfähiger Ehemann nicht ausreichend herbeischaffen konnte.«

Norman faßte endlich Mut. Er hatte im Blue Boar zwei Whisky getrunken. Zielbewußt marschierte er auf Joan zu und schlug sie ins Gesicht. Sie war eine sehr kleine Frau und fiel mit glucksenden Lauten vom Stuhl.

Eunice erhob sich schwerfällig, ging auf Norman los und packte ihn bei der Kehle. Sie hielt die großporige Haut wie einen Strang Wolle fest und legte die andere Hand schwer auf Normans Schulter.

»Lassen Sie sie in Ruhe!«

»Ich soll mir das wohl anhören, ja?«

»Wenn Sie’s nicht tun, schüttle ich Ihnen die Seele aus dem Leib.« Eunice ließ ihrer Drohung gleich die Tat folgen. Es war für sie ein durch und durch wunderbares Erlebnis, und sie fragte sich, warum sie sich das eigentlich nicht schon früher gegönnt hatte. Norman krümmte sich und schauderte, während sie ihn schüttelte, seine Augen traten aus den Höhlen, und sein Unterkiefer sackte herunter.

Joans Vertrauen in Eunice als Leibwache war vollauf gerechtfertigt gewesen.

Sie setzte sich auf und sagte dramatisch: »Du hast mir, mit Gottes Hilfe, das Leben gerettet.«

»So ein Quatsch!« sagte Norman. Er riß sich los und rieb sich die Kehle. »Ihr macht mich krank, ihr beide. Zwei richtige alte Hexen seid ihr.«

Joan kroch auf ihren Stuhl zurück und untersuchte die Schäden, die sie davongetragen hatte. Eine Laufmasche im Strumpf und einen leichten Bluterguß am Auge. Norman hatte sie nicht wirklich verletzt. Sie war auch nicht mit dem Kopf aufgeschlagen, als sie fiel. Aber irgend etwas geschah mit ihr nach diesem schwachen Schlag.



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