Untitled by Bessing Joachim

Untitled by Bessing Joachim

Autor:Bessing, Joachim
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-462-30692-7
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 2014-02-22T16:00:00+00:00


Ich lag, noch immer vom Schwindel niedergehalten, und mein Denken bewegte sich auf einer dem Gang des Schwindels ähnlichen ellipsoiden Bahn: Julia Julia Julia geliebte Julia. Ihre Augen, wie sie mich anschaut, wenn unsere Fahrräder nebeneinander vor einer Verkehrsampel anhalten. Julia, sie ist zierlich, sie schaut von links unten. Ihr dunkler Blick. Wenn ihr die Sonne direkt ins Gesicht scheint, bekommen ihre Augen einen Honigton, rings um die Pupille des einen treten dunklere Punkte hervor, die wie Sternbilder angeordnet sind, und dann sieht es für mich so aus, als habe jemand die Honigscheiben mit Zimt bestäubt – so köstlich ist mir ihr Schauen. So sehr liebe ich es, ihr in die betörenden Augen zu sehen. So sehr liebte ich das, musste es heißen, denn es war ja vorbei. Nie wieder in die Sonne mit ihr, keine Spaziergänge, nie wieder Fahrrad. Die Ampeln gab es weiterhin.

Ich erinnerte mich an einen frühen Abend, da durfte ich sie von zu Hause abholen. Ich meine, das war sowieso das erste Mal, dass ich überhaupt ihre Wohnung betrat. Das muss noch im Februar gewesen sein, denn die Erinnerungsbilder zeigen uns in Winterbekleidung und Julia stülpte sich eine Mütze aus himbeerfarbener Wolle über ihren wunderschön geformten Kopf und ich starrte sie an, ich konnte nichts sagen, nur schauen und nicht einmal denken, was mein Gehirn da mit den Bildern machte: es befand. Ich fand Julia niedlich, ich fand sie süß, wie ein Stück Schokolade, wie Eiscreme – egal, dass es kalt war draußen –, ich verstand nun, es klickerte, weshalb man sagt: Du siehst zum Anbeißen aus. Es wird dieselbe Lust gemacht. Ob Keks, ob Mädchen: man will sie in den Mund nehmen und auf der Zunge spüren. Ich stand da in dem Flur der ehelichen Wohnung wie ein Humanprimat und sie spürte wohl, wie sehr ich Lust auf sie hatte. Und da machte sie etwas Faszinierendes: Sie klimperte ganz kurz mit ihren Wimpern, so von schräg unten, die Mütze auf dem Kopf, im Begriff zur Tür zu gehen, und dieser Klimperblick, den ich zuvor noch nie gesehen hatte an ihr, traf mich mit einer physischen Wucht, wie ich das noch nie zuvor beim Angeschautwerden erlebt hatte. Weil mir in dem Moment schlagartig bewusst wurde, dass sie ganz genau wusste, wie es um mich stand – in Sachen meines Verliebtseins und meines ihr Verfallenseins. Weil wir eben keine Kleinkinder waren, die in all ihrer Unschuld, so ganz versehentlich, sich ineinander verlieben und noch keinen Schimmer davon haben, was mit ihnen geschieht und wozu. Das heißt: In meinem Fall traf das schon recht eigentlich zu, ich hatte tatsächlich kaum Ahnung, sonst hätte ich mich nie darauf eingelassen, als sie mir an unserem ersten Abend ihre Karte gab und dabei darauf hinwies, unabänderlicherweise gebunden zu sein. Nicht allein diesen Umstand hatte ich unterschätzt.

Gesetzt den Fall, es gäbe da eine Tablette, die könnte dir den Kummer nehmen, ja: du würdest nicht nur den Kummer vergessen, sondern mich auch und dass wir uns je begegnet sind – würdest du sie schlucken wollen?

Ich verneinte.



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