Unter der Hand (German Edition) by Leupold Dagmar

Unter der Hand (German Edition) by Leupold Dagmar

Autor:Leupold, Dagmar [Leupold, Dagmar]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-07-22T22:00:00+00:00


Dreizehn

Der neue Tag beginnt spät und gut. Den Traum trage ich als Keimling in mir, hoffungsträchtig. Ich meine, einen Schimmer auf dem Haar zu erkennen, der sonst, nach nachtlanger Reibung mit dem drangsalierten Kissen, nicht auftritt. Im Gegenteil: Morgens, beim Aufstehen, ist das Haar so verlegen und glanzlos wie seine Besitzerin.

Franz kommentiert lächelnd meinen Appetit mit der Bemerkung, er sei postkoital ohne Koitus. In unserem Alter freut man sich über jeden Appetit, sage ich und beiße in die dick mit Frühlingsquark bestrichene Semmel, und außerdem – das sage ich nicht mehr laut – habe ich heute Nacht, nein, heute Früh, die schönste Verausgabung erlebt, das macht hungrig.

Franz betrachtet mich ausführlich, die Zusammenfassung fällt so aus: Mit dir ist heute kein Staat zu machen.

Warum?

Nimm es als Kompliment, sagt Franz.

Dann reden wir freundlich miteinander über den Frühstückstisch hinweg, auf dem die richtigen Dinge stehen, dazu im Hintergrund Musik aus dem Radio, Klassik-Häppchen, an der Kleiderstange auf dem Balkon erholt sich die Strickjacke vom Wärmen. Wir sitzen zu zweit und sind zu viert. Beide geben wir uns Mühe, durch Behutsamkeit wettzumachen, was an Verbundenheit fehlt. Ich erkundige mich nach seinem Bandscheiben-Prolaps und danach, ob ihm in der Fortbildung jemand gute Ratschläge geben konnte, wie man, selbst lädiert, den Lädierten hilft. Ich halte Augenkontakt, um mein inneres Abschweifen zu verbergen, ich zwinge mich, Interesse zu zeigen. Und auf einmal ist es wirklich da, ein normales Wunder, Franz erläutert, wie der Therapeut den eigenen einseitigen Belastungen vorbeugen kann, er springt auf und neigt sich zu einem imaginären Patienten, hält dabei den Rücken gerade, spricht von Hebelwirkung, zentral gelenktem Druck, Atemregulierung.

Ich finde es lustig, sage ich, dass ausgerechnet die Arbeit, für die man ausgebildet ist, dem Therapeuten dieselben Symptome beschert wie den Therapierten. Wer anderen hilft, wieder auf die Füße zu kommen, verbiegt sich selbst.

Meine kleine Kaustikerin, sagt Franz, so hoffnungslos ist die Welt nicht.

Kaustikerin? Ich bin mir nicht sicher, was es bedeutet, und schaue Franz verwirrt an. Vielleicht ist es ein Wort, das diese Nina in seinen Wortschatz importiert hat.

Ätzend, sagt Franz und setzt sich wieder, du bist ätzend oder, sagen wir mal, ein bisschen giftig. Oder würdest du auch behaupten, dass dein Deutsch schlechter wird durch die Nachhilfe, die du gibst?

Ich habe es gut gemeint, sage ich und lege meine Hand über seine. Er zieht sie hervor und drückt meine aufmunternd, auffordernd. Haben wir noch Zeit?

Wofür?

Eine kleine Entgiftung, sagt Franz und lächelt mich an.

Wir kehren in das noch warme Bett zurück, umarmen einander in aufrichtiger Dankbarkeit für die beiderseitige Entschlossenheit, was da ist, nicht geringzuschätzen. Auch wenn es keine Superlative verdient und keine Oden – oder Elegien.

Liebe Minna, sagt Franz und setzt kleine Küsse die Wirbelsäule hinab, einen pro Wirbel, und es wird eine schöne Bestandsaufnahme. Und Nachmittag darüber. Als wir zum zweiten Mal aufstehen, sind die Gewissensbisse da: Weder Lotte angerufen noch besucht, keine Pläne geschmiedet, nichts gearbeitet. Franz hat recht, mit mir ist kein Staat zu machen. Und kein Gewinn. Unter der heißen Dusche vernichte ich die Spuren von Franz und verspüre den Wunsch nach Sinn, nach gehaltvollen Aufgaben so heftig, so dringend, dass ich friere.



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