Unschuldig-schuldig? by Anny von Panhuys

Unschuldig-schuldig? by Anny von Panhuys

Autor:Anny von Panhuys [Panhuys, Anny von]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-05-26T00:00:00+00:00


* * *

Ilse Pardingen stand vor dem hohen Toilettenspiegel ihres Ankleidezimmers. Sie trug ein elfenbeinfarbenes Kleid aus gebügeltem Samt, das ihre vollerblühten Frauenreize geradezu zu berückender Geltung brachte. Um den Hals legte sie eine kurze Schnur lichtgrauer Perlen, sonst benützte sie keinen Schmuck heute.

Ilse hatte das Mädchen, das ihr beim Ankleiden geholfen, längst fortgeschickt, sie liebte es nicht, sich mehr als notwendig bedienen zu lassen. Während sie die letzten kleinen Handgriffe selbst machte, saß ein bißchen abseits die blonde Brigitte Fürst, und beobachtete jede Bewegung ihrer früheren Hauslehrerin mit entzücktem Blick. Sie schwärmte für Ilse Pardingen ebenso wie ihre Schwester Renate, die allerdings wegen ihrer Jugend noch nicht an der heutigen Gesellschaft teilnehmen durfte.

„Wie schön Sie sind, Frau Ilse, wie wunderschön“, brach es begeistert von Brigittes Lippen.

„Kleine Schmeichelkatze“, lächelte Ilse zurück, „doch bitte ich die Bezeichnung ‚Klein‘ nicht wörtlich zu nehmen, denn eigentlich bist du beinah größer als ich!“

Brigitte erhob sich und trat neben Ilse vor den Spiegel. „Es stimmt, du bist reichlich zwei Zentimeter über mich hinausgewachsen“, stellte die Aeltere fest.

Unwillkürlich blieben beide noch ein Weilchen nebeneinander vor dem Spiegel stehen, der ihr Doppelbild zurückwarf. Der Kontrast zwischen der dunkelhaarigen und dunkeläugigen jungen Frau und dem blonden Mädchen, dessen Haare licht waren wie sonnengebleichte Aehren und dessen Augen hellgrau leuchteten, war sehr schroff, aber gerade deshalb ergab dieses Nebeneinander eine fast verblüffende Wirkung. Das fand auch Heinz Pardingen, der nach einem Anklopfen, das man im Zimmer überhört hatte, eingetreten und sekundenlang auf der Schwelle verharrte. Er lächelte den beiden, die ihm aus dem Spiegel entgegenblickten, zu, und im Spiegel sahen beide zugleich den stummen, lächelnden Bewunderer.

Errötend drehten sich die zwei zu gleicher Zeit um, und Frau Ilse meinte mit scherzhaftem Vorwurf: „Aber, Heinz, wie hast du uns erschreckt!“

Er nickte: „Kann ich mir denken, es war aber für mich sehr interessant, zu beobachten, wie eitel die holde Weiblichkeit zu sein vermag.“ Er verbeugte sich galant. „Doch muß ich ehrlich gestehen, famos seht ihr beide zusammen aus, meine von der Natur mit dem Aeußeren fremder exotischer Schönheit bedachte Ilse, und die rosige Gretchenblondheit unserer lieben Fürstentochter.“ Er unterbrach sich. „Aber um eitlen Weiberchen Komplimente vorzusetzen, bin ich nicht gekommen, sondern, meine liebe Ilse, um dir die Mitteilung zu machen, daß uns eben ein völlig unerwarteter Gast ins Haus geschneit ist, der nichts von unserer Abendgesellschaft ahnte, und nun er davon hörte, gleich wieder ausreißen wollte. Aber ich habe ihn beruhigt, und jetzt bitte ich dich, ihm einen rechten guten Platz anzuweisen bei Tisch, Ilse.“

Die schöne Frau schüttelte den Kopf. „Wer ist es denn eigentlich? Das vergaßt du bisher mitzuteilen.“

Heinz tat geheimnisvoll. „Rate mal, mein Herz! Uebrigens dürfen Sie auch Ihren Scharfsinn anstrengen, Fräulein Brigitte, denn Sie kennen den Herrn auch. Es ist also ein guter Freund von mir und saß an meiner Hochzeit neben einem hellblonden Mädel, mit dem er sich gut unterhielt, daß er für mich kaum was übrig hatte.“

Brigittes rosiges Gesicht färbte sich stärker, und in unbedachter Lebhaftigkeit jubelte sie: „Norbert Salten ist gekommen!“

O, welche Freude, welche große Freude!



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