Übung der Nacht: Tibetische Meditationen in Schlaf und Traum (German Edition) by Tenzin Wangyal Rinpoche

Autor:Tenzin Wangyal Rinpoche [Wangyal Rinpoche, Tenzin]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Goldmann Verlag
veröffentlicht: 2015-02-22T16:00:00+00:00

Furchtlosigkeit

Der vierte Teil der Praxis ist am einfachsten, weil man jetzt bis zum Morgen nicht nochmals aufwachen muss. Es bedarf auch keiner bestimmten Haltung – bequem soll es sein. Der Atem wird seinem natürlichen Rhythmus überlassen. Der Tradition gemäß beginnt diese Phase zwei Stunden nach dem letzten Aufwachen in der Nacht und kurz vor der Morgendämmerung.

Der Punkt der Sammlung ist jetzt das »geheime« Chakra, das hinter den Genitalien liegt. In diesem Chakra befindet sich eine Kugel von schwarzem Licht, ein schwarzes Tigle. Dies ist die dunklere Seite der Imagination: In den hier entspringenden Träumen, so sagen die Lehren, können rasende Dākinīs vorkommen, Feuer auf den Bergen und in den Tälern, reißende Flüsse und verheerende Stürme. In solchen Träumen, die erschreckend sein können, zerstören die Elemente das Bild des eigenen Ich. Sehen Sie zu, ob das auch für Sie gilt. Die Träume dieses Teils der Nacht sollten irgendwann diesen rasenden Charakter annehmen.

Gehen Sie bei dieser Übung in das schwarze leuchtende Tigle im geheimen Chakra ein, und werden Sie dieses schwarze Licht. Ihr Geist soll entspannt und ganz leicht auf dieses überall vorhandene auch Sie gänzlich durchdringende schwarze Licht gesammelt sein, während Sie sich dem Schlaf überlassen.

Die vier Eigenschaften von Träumen – friedvoll, freudvoll, machtvoll und rasend – sind sehr breite »Bänder« möglicher Bilder, Empfindungen, Emotionen und Erfahrungen. Sie müssen, wie mehrfach betont, nicht unbedingt Träume der Art haben, wie sie in den alten Lehren als Beispiele dargestellt werden. Wichtig ist vor allem die Qualität: die emotionale Gestimmtheit des Traums, die durchgängige, aber möglicherweise subtile Strömungsrichtung in der Traumerfahrung. Daran ist zu erkennen, zu welchem Chakra, also zu welcher Dimension der Erfahrung der Traum in Beziehung steht. Zu dieser Einschätzung gelangen wir nicht durch das Entschlüsseln der Traumbilder. Wir können an der Traumstimmung auch ablesen, wo Prāna und Geist sich im Energiesystem des Körpers ansammeln und entsprechende Träume erzeugen. Natürlich können in einen Traum auch die Ereignisse und Erlebnisse des letzten Tages eingehen. Wir gewinnen viel Information durch eingehende Betrachtung all dessen, was mit dem Traum zusammenhängt.

Es gibt wie gesagt keine weitere Aufwachzeit innerhalb dieser Übungsperiode, sondern Sie wachen dann am Morgen auf, um Ihren Tag zu beginnen. Versuchen Sie bei diesem Aufwachen bewusst und präsent zu sein. Die Praxis zielt darauf ab, die Bewusstheit über die ganze Nacht, also auch über die Schlafzeiten hinweg, aufrechtzuerhalten und sie so schließlich auf den ganzen Tag auszudehnen.

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