Tydmers 09 - Goetterfall by Sandra Luepkes

Tydmers 09 - Goetterfall by Sandra Luepkes

Autor:Sandra Luepkes [Luepkes, Sandra]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimis & Thriller
ISBN: 9783423429931
Google: V38oDAAAQBAJ
Herausgeber: dtv Verlagsgesellschaft
veröffentlicht: 2016-05-26T22:00:00+00:00


Urð

[Hannover-Herrenhausen, Alleehof,

26. Januar 1994, nachmittags]

Hab den Mädels gestern gesagt, ich besuche meine Eltern, in Wahrheit hab ich den Zug nach Dresden genommen, von da mit dem Bus weiter nach Reckwitz, Ortsteil Kreuma. Ende der Welt.

Das Aluminiumwerk erfüllt das Klischee eines »Volkseigenen Betriebes«, der schon lange vor der Wende dem Untergang geweiht war. Beidseitig der Fenster rostige Suppe auf grauem Beton, erfrorene Disteln zwischen den Fugen und ein zerfranstes Storchennest auf dem Schornstein. Und Menschen, die so getan haben, als gäbe es was zu tun. Männer und Frauen in blauer Werkskleidung, zwischen Bürotrakt und Fertigungshalle getrieben von der Angst, was bald werden wird. Als könnten sie, wenn sie sich nur richtig anstrengen, das Schlimmste verhindern. Daß sie in einem millionenschweren Unternehmen arbeiten, ist ihnen wahrscheinlich nicht mal bewußt. Daß irgendeine Formel oder Erfindung, die hinter den halbblinden Fenstern ausgeklügelt wurde, mehr wert sein soll als alles, was sie am Fließband je schaffen, wer soll das auch kapieren?

Daß diese zu Papier gebrachte Eingebung vielleicht sogar so wertvoll ist, daß ein kleiner Junge dafür sterben mußte, nein, so eine Wahrheit will in überhaupt keinen gesunden Kopf.

Ich stand da eine Weile rum, wußte nicht, wie ich es anfangen soll und was ich überhaupt will. Da fiel mir auf, daß ein Typ, den ich vorher schon im Intercity von Osnabrück nach Hannover gesehen habe, weiter hinten zwischen den Bäumen spazierengeht. Keine auffällige Erscheinung bis auf den rotblonden Bart, nicht dick und nicht dünn, Jeanshose und hellblaues T-Shirt ohne Aufdruck. Genauso soll man sich anziehen, wenn man observiert, hat man uns in Bad Iburg beigebracht. Der guckte nicht rüber, der wurde nicht langsamer, als er in meine Nähe kam, der tat so, als würde er sich in Kreuma einfach schrecklich gern rund ums Aluminiumwerk die Beine vertreten, auch wenn es eine schäbige Umgebung ist, laut und marode. Echt professionell. Klar, der folgt mir wie ein Schatten. Seit meinem Besuch bei den Hüffarts haben die sich an meine Fersen geheftet. Sind es die? Dieselben, vor denen Gisela Hüffart kapitulieren mußte?

Die Unterhändler beim Ausverkauf der Volkswirtschaft? Und was machen die, wenn sie sehen, daß ich in diese Gammelfabrik latsche und nach Wissenschaftlern suche, die sich mit Formeln beschäftigen?

Die können mich ja auch ganz einfach … ach Quatsch.

Hab mich nicht verunsichern lassen und bin los, zur Tür rein, zur Pförtnerin, die meine Uniform so beeindruckend und mein Lächeln so vertrauenerweckend fand, daß ich keinen Grund nennen mußte, weshalb ich mit der wissenschaftlichen Abteilung zu sprechen wünsche. War einfach, dort hineinzuspazieren.

Der Kerl, der mir als Ansprechpartner genannt wurde, hatte sein Büro im zweiten Stock. Alles eher schlicht, gar keine großen Computerbildschirme, nicht wie man sich so Zukunftsforscherlabore vorstellt. Großflächige Skizzen, handgezeichnet, hinter denen die Flurwände verschwunden sind. Und leise war es. Als wäre niemand da.

Dann kam ein Mann in den Flur, der gar nicht so aussah wie ein Physikgenie, die waren bei uns an der Schule nämlich eher farblos und schlaksig. Nicht wesentlich älter als ich, höchstens dreißig, blond, groß. Hat mich irgendwie erleichtert. Ich bin nach Sachsen gefahren, weil



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