Tucholsky - ein deutsches Leben by Siedler

Tucholsky - ein deutsches Leben by Siedler

Autor:Siedler
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Siedler
veröffentlicht: 2012-03-21T00:00:00+00:00


Innen weint es

Am Vormittag des 3. Dezember 1926 erreicht Tucholsky in Paris ein Telegramm aus Berlin: »Jacobsohn Gehirnschlag sofort kommen.«107 Eine Minute später greift er erregt zum Telefonhörer, um sich diese vollkommen unerwartete Nachricht bestätigen zu lassen. Siegfried Jacobsohn, der Mensch, mit dem ihn mehr verband als mit jedem anderen, war am frühen Morgen um vier Uhr in der Grunewalder Douglasstraße 30, wo er erst vor drei Monaten eine komfortable Achtzimmerwohnung bezogen hatte, den Folgen eines epileptischen Anfalls erlegen. Am Tag zuvor hatte Tucholsky ihm noch einen Brief geschrieben, der ihn nun nicht mehr erreichen würde. Es ging um das Pyrenäenbuch, das für den Berliner Verlag Die Schmiede zum Druck vorbereitet wurde, sachlich, voll interessanter Tatsachen und dabei spannend und witzig, kurz einfach wundervoll,108 wie Jacobsohn den verantwortlichen Lektor zitierte, und Tucholsky bot Jacobsohn nun »das Beste und Lustigste aus dem Buch« zum Vorabdruck in der Weltbühne an.109 Jacobsohn seinerseits hatte ihm an seinem letzten Lebenstag eine ausgewogene Charakterisierung Hindenburgs zukommen lassen. Er sei doch in Wahrheit nur ein Grandseigneur, »dessen tiefster Schmerz es ist, dass sich die Hohenzollern nicht als Grandseigneurs erwiesen haben«, und werde sich aus diesem Grund in Zukunft vermutlich in einen Dauerkonflikt mit den Deutschnationalen hineinbegeben.110 Jetzt war Jacobsohn tot, nicht ganz sechsundvierzig Jahre alt.

Die Nummer 40 des 22. Jahrgangs der Weltbühne vom 7. Dezember 1926 eröffnet auf der ersten Seite mit einem Nachruf von Kurt Tucholsky auf Siegfried Jacobsohn. »Ihm ganz allein verdanken wir, was er uns hinterlassen hat«, liest man da. »Wir alle, die wir unter seiner Führung gegen dieses Militär, gegen diese Richter und gegen diese Reaktion gekämpft haben, kennen seinen tiefsten Herzenswunsch: die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit Mozarts, die Wahrheit Schopenhauers, die Wahrheit Tolstois – inmitten einer Welt von Widersachern: die Wahrheit.« Seine Arbeit, schließt Tucholsky den Nachruf, soll aber nicht umsonst gewesen sein. »Organisches Leben zieht Leben an – es soll nicht untergehen. Gib Deine Waffen weiter, S.J. – !«111 Er war nun »Dahin«, und man konnte nicht mehr, wenn man in Berlin weilte, einfach zu ihm ins Büro kommen und über Gott und die Welt plaudern. »jetzt«, so Tucholsky, »sitz ich ganz allein. / Keinen hör ich vor Beifall schrein«, und die besten Witze aus ganz Berlin wird man nie wieder dem stets zu Scherzen aufgelegten Jacobsohn erzählen können.112 Dieser Berliner, wird Tucholsky später schreiben, hatte wirklich einmal alle guten Eigenschaften seiner Stadt in sich versammelt. Er war pünktlich, akkurat, aus Egoismus altruistisch, kurz »der idealste deutsche Redakteur, den unsere Generation gesehen hat«.113 Für eine Zeit muss Tucholsky ihn nun ersetzen. Stehenden Fußes reisen Mary und er, die im Oktober einen geräumigen ehemaligen Kardinalssitz in der kleinen Residenzstadt Fontainebleau bezogen hatten, nach Berlin.

Er hatte Jacobsohn erst Mitte Juli 1926 für einige Tage in Sils Maria getroffen. Man sprach über Maximilian Harden, über Projekte und über Geld. Mary gegenüber schwärmte er bei dieser Gelegenheit von der Landschaft des oberen Engadin, die ihn weit tiefer beeindruckte als die Pyrenäen, und »Rückenschauer« überwältigten ihn beim Anblick des Hauses, in dem Friedrich Nietzsche, der »dem Deutschen wieder eine Prosa gegeben hat«, sieben Sommer verbrachte.



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