Tote Tulpen by Jaromir Konecny

Tote Tulpen by Jaromir Konecny

Autor:Jaromir Konecny [Konecny, Jaromir]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Jugendroman
Herausgeber: dtv
veröffentlicht: 2014-05-09T22:00:00+00:00


Krieg

Zum Gartencenter fahre ich mit Lauras Vater im Lieferwagen. »Das ist wirklich dumm, dass du bei uns gerade jetzt anfangen musst«, sagt er. »Mit einem Mord.«

»Das ist für Sie sicher auch nicht angenehm.«

»Da hast du recht«, sagt er. »Morgen in der Nacht kommt Camilla aus Paris zurück, meine Frau. Ich hoffe, dass sie damit zurechtkommt. Sie ist sehr empfindlich.«

o o o

Im Geschäft laden wir zuerst große Blumentöpfe auf. Bei unserem zweiten Gang in den Laden stoße ich mit einer dürren und langen Gestalt zusammen. Sie drängt sich an uns vorbei zu einem Regal. Fast rufe ich »Claudin«, doch ich muss es nicht tun. Lauras Vater tut es für mich: »Claudin?«

»Ah, da bist du, Arschloch!«, hallt eine Stimme hinter Lauras Vater. Ich drehe mich um. Träume ich? Hat man mir heimlich Drogen verpasst? Als ob Lauras Vater sich verdoppelt hätte. Jetzt steht er hinter sich selbst und beschimpft sich als »Arschloch«. Warum hat Laura mir nicht gesagt, dass ihr Papa und ihr Onkel Zwillinge sind? Drillingsschwestern. Zwillingsbrüder. Langsam wird’s unheimlich, auch für einen Knastbruder wie mich. Die Zwillingsbrüder haben heute sogar ähnliche Sachen angezogen: Jeans und ein kurzärmeliges Karo-Hemd. Partnerlook. Trotzdem wollen sie nicht viel miteinander reden. Der eine sagt »Arschloch«, der andere »blöde Sau«, und schon boxen sie sich in die Rippen. Na so was! Im Heim und im Knast haben sich oft Jungs geprügelt, auch ich war schon in einige Schlägereien verwickelt, doch zwei erwachsene Männer? Fight Club, oder was? Zum Glück boxen sie nicht lang, gleich halten sie sich, ringen rum, räumen dabei ein paar Blumentöpfe mit Blumen weg. Josef liegt auf dem Rücken, Lauras Vater kniet über seinem Bauch und hält Josefs Handgelenke zu Boden gedrückt. Voll ohne Stil, diese Schlägerei. Wie im Kindergarten. Bei Bud Spencer dürften die beiden sicher nicht mitspielen. Plötzlich blickt Josef zu mir und brüllt: »Nein! Claudin!«

Jetzt lockere ich keine Muskeln, um sie gleich darauf anzuspannen – keine Zeit dazu. Blitzschnell drehe ich mich um, sehe nur einen vorbeistürmenden Körper, hochgehobene Hände … was hält er in ihnen? In der Drehung hebe ich mein linkes Bein. Roundkicks habe ich im Knast ausgiebig trainiert. Salami hat seine Arme in meine Bettdecke gepackt und sie vor der Brust gehalten. Ich habe gekickt. Genauso wie jetzt. Erst am Ende der Drehung spanne ich alle Muskeln im linken Bein. Und KICK! Mein Schienbein erwischt seinen Bauch. Claudin klappt zusammen und schlägt mit dem Schürhaken ein Stück Ladenboden raus. Etwa einen Meter von Lauras Vater entfernt. Hätte der Schürhaken meinen Boss erwischt, wäre er nicht mehr auf Erden. Jetzt hat er sich aber schon zu uns gedreht. Beide Brüder rappeln sich hoch. Inzwischen hat sich bei uns ziemlich viel Publikum zusammengerottet. Voll das Kino hier. Josef hilft Claudin wieder auf die Beine, dieser ächzt, steht aber auf. Zwei Verkäufer kommen angelaufen. »Alles in Ordnung«, sagt Lauras Vater zu ihnen. »Ich übernehme den Schaden.« Vorsichtshalber stelle ich mich auf das Loch, das Claudin mit dem Schürhaken in den Boden gehauen hat. Sonst gibt’s keine großen Verwüstungen: nur ein paar kaputte Blumentöpfe samt Blumen darin – rote Tulpen, die jetzt tote Tulpen sind.



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