Tibetischer Pfirsichstrudel by Tom Robbins

Tibetischer Pfirsichstrudel by Tom Robbins

Autor:Tom Robbins [Robbins, Tom]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644044913
Herausgeber: Rowohlt E-Book


jiminy critic

Als ich mit fünf verkündet hatte, Schriftsteller werden zu wollen, hatte ich nicht die geringste Ahnung gehabt, dass zu meinen Aufgaben auch Kunstkritiken gehören könnten. Doch da saß ich nun mit Anfang dreißig und schrieb Rezensionen statt Literatur, will sagen, produzierte Johannisbrot statt Schokokuchen – oder noch schlimmer, Juckpulver statt einen Zaubertrank. Andererseits hatte ich meine literarische Stimme, meinen persönlichen Stil oder mein Thema noch nicht gefunden, und deshalb schärfte es den Verstand, regelmäßig als Kritiker zu arbeiten, es vertiefte mein Wissen und bereitete mich darauf vor, drohenden Abgabeterminen ohne zu blinzeln ins Auge zu sehen. Im Übrigen hatte ich ständig mit kreativen Menschen zu tun.

Manche waren natürlich fortschrittlicher, origineller oder besessener als andere, und ich hatte mir vorgenommen, die Starken von den Schwachen, die Getriebenen von den Trägen, die Genies von den Langweilern zu trennen, so gut es mir möglich war. Das hatte es in Seattle noch nie gegeben, und so musste man in der sogenannten Kunstszene erst einmal eine Menge Mist beiseiteräumen und den unverdient schlechten Ruf einiger Protagonisten aufpäppeln, während man anderen die Luft abließ. Dieser Ansatz machte mich, wie nicht anders zu erwarten, in einigen Kreisen populär, in anderen hingegen zum Paria – und zum Sündenbock.

Kein Wunder, dass mich das Unkonventionelle faszinierte, und wenn mich ein radikales, einfallsreiches Werk berührte, kannte ich nichts und lehnte mich weit aus dem Fenster, um es zu loben, selbst wenn unten eine Bande Krakeeler stand und an der Tür rüttelte. Dabei ging es jedoch nie um die Frage, ob mein Geschmack besser oder schlechter war als der von anderen in der Kunstgemeinde. Um angemessen auf Kunst zu reagieren, muss man Vorstellungen wie «Geschmack» am besten gleich vergessen. Geschmack hat nur dann eine Berechtigung, wenn es darum geht, zwischen Werken von relativ gleichem ästhetischem Wert zu unterscheiden. Matisse den Vorzug vor Picasso zu geben kann beispielsweise ein zulässiger Ausdruck von Geschmack sein, Thomas Kinkade Picasso vorzuziehen ist eine ästhetische Geschmacklosigkeit. (Sie dürfen gern an meiner Tür rütteln.)

Als mich der stellvertretende Direktor des Seattler Kunstmuseums als «Hell’s Angel» titulierte, fasste ich das als Kompliment auf und glaubte, es habe damit zu tun, dass ich nicht gerade mit Samthandschuhen gegen gewisse heilige Kühe und allseits verehrte Scharlatane vorgegangen war, doch dann stellte sich heraus, dass er mich deshalb so bezeichnete, weil ich immer auf meinem schwarzen Jawa-Motorrad zu den Ausstellungen kam, was sein hochentwickeltes Zartgefühl verletzte. Die Direktorengattin des besagten Museums hat sogar einmal versucht, mich mit Hilfe einer ganzseitigen Anzeige in der Times zu verunglimpfen, doch die verweigerte den Abdruck, was man ihr hoch anrechnen muss, denn dieser Akt der Loyalität hat sie eine Stange Geld gekostet.

Dass man von manchen beklatscht und von anderen verachtet wird, ist gewöhnlich das Kennzeichen eines guten Kritikers. Ich kann jedoch nicht von mir behaupten, mich in meinem Job besonders hervorgetan zu haben. Gewiss gelang es mir, «das Wild aufzuscheuchen», wie H.L. Mencken sich gern ausdrückte, aber ich war keineswegs kompetent genug, um ein Gemälde von einer sachkundigen formalen Warte aus zu analysieren, zumindest nicht in meinen Zeiten bei der Times.



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