Tan A.,Das Kurtisanenhaus by Amy Tan

Tan A.,Das Kurtisanenhaus by Amy Tan

Autor:Amy Tan
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-11-13T00:00:00+00:00


9

Treibsandjahre

Shanghai, März 1925

Violet

Loyalty richtete im Haus von Lin eine große Feier aus, um die fünfzehnjährige Kurtisane Rubinhimmel und ihre bevorstehende Defloration zu feiern, für die er noch mehr Geld bezahlt hatte als damals für meine. Wie bei der Feier, auf der ich ihn kennenlernte, hatte er sieben Freunde eingeladen – und es gab zu wenige Kurtisanen. Wie üblich verlangte er mich, und wie üblich war ich froh über das Geschäft.

Während der letzten Jahre hatte ich hart an meinem Zitherspiel gearbeitet, und ich hatte auch geübt, westliche Lieder zu singen. Loyalty machte seine Gäste auf mein ungewöhnliches musikalisches Talent aufmerksam, damit ich von anderen auf ihre Feier bestellt wurde. In Wahrheit gab ich aber nur eine passable Vorstellung ab. Trotz seiner Empfehlungen stapelten sich die Anfragen nicht auf meinem Schreibtisch. Wer von den jüngeren Kunden wollte schon langsames Zithergezupfe hören, wenn man mit dem Phonographen flottere Lieder abspielen konnte? Ihnen war etwas Modernes lieber, denn in Shanghai drehte sich gerade alles um Modernität. Ich hatte immerhin noch einen musikalischen Pluspunkt, indem ich ein paar westliche Melodien sang, bei denen die Zither nur die Akkorde lieferte. Ein Gast, der die Vereinigten Staaten besucht hatte, meinte, das höre sich an, als würde ich ein amerikanisches Banjo spielen. Danach warb ich für mich als Banjo-Sängerin, »sehr gefragt für Feiern mit ausgelassener Atmosphäre«.

Die Mutter des Hauses von Lin war die ehemalige Bauschwolke im Verborgenen Jadepfad. Sie begrüßte mich voller Begeisterung. »Bin ich froh, dass du heute Abend keine Verpflichtungen hattest«, rief sie, bevor die anderen kamen. »Ich sollte dich öfter zu mir holen. Unsere Mädchen sind jeden Abend besetzt.« Früher wäre ich beleidigt gewesen, weil sie damit unterstellte, dass ich keine Stammkunden mehr hatte. Jetzt hingegen erklärte Zauberkürbis Bauschwolke, dass sie immer an mich denken solle, wenn sie eine Feier etwas lebhafter gestalten wollte. Als ich den Bankettraum betrat, sah ich Loyalty mit seinem hüftschwingenden neuen Liebling. Er betrachtete sie mit demselben zärtlichen Gesichtsausdruck, mit dem er mich bedacht hatte, als ich seine Jungfrau war und er behauptet hatte, kein anderes Mädchen hätte jemals so unbekannte und überraschende Empfindungen in ihm ausgelöst.

Loyalty kam zu uns herüber und begrüßte Zauberkürbis und mich auf die vornehme britische Art – ein Handkuss und eine leichte Verbeugung. Ich gratulierte ihm zu der hübschen neuen Blume, zu deren Ehren er geladen hatte. Sie warf mir einen misstrauischen Blick zu. Zauberkürbis hatte über Magenprobleme geklagt, aber sie hatte trotzdem darauf bestanden, zu der Feier zu gehen, weil sie das Gefühl hatte, ich würde eine neue Eroberung machen.

Als die Feier zur Hälfte fortgeschritten war, bat Loyalty darum, dass ich etwas zum Besten gab. Ich fing mit zwei gefühlvollen chinesischen Liedern an, gefolgt von den Stücken »Always«, »Tea For Two« und »Swanee River« im Banjo-Stil. Das letzte war mein größter Erfolg, denn ich scherzte, dass suh-wan-nee auf Chinesisch »Ich denke daran, dich anzufassen« bedeutet und fa fa e wei, wenn es das erste Mal gesungen wurde, »um dir die schönen aufziehenden Wolken zu zeigen« – und beim zweiten Mal »um dir meinen Hunger nach deinem wütenden Feuer zu zeigen«.



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