Strom by Schlegl Tobias

Strom by Schlegl Tobias

Autor:Schlegl, Tobias [Schlegl, Tobias]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2023-09-28T00:00:00+00:00


Sie wird mit ihrer Mutter reden, das ist das Beste. Ein langes, ehrliches Gespräch, und alles wird sich klären.

Nora schließt ihr Rad auf dem Parkplatz vorm Krankenhaus an und tippt ins Handy.

Komme am Samstag bei dir vorbei, ok?

Mama ist online, die Nachricht bekommt sofort zwei Haken.

Ja, Schatz, das passt gut , antwortet sie.

Nora schickt ein rotes Herz. Mama sendet zwei zurück.

19

Wie jeden Morgen wacht Sandra Fux von allein auf. 6:30 Uhr. Ihre innere Uhr ist präzise. Sie starrt an die Decke. Sie müsste nicht aufstehen, es gibt nichts zu tun. Seit ihr Mann gestorben ist, hat sie ihre Stelle als Erzieherin ruhen lassen. Arbeitsunfähig. Äußerlich unversehrt, innerlich gelähmt. Schon als sie Konstantin pflegte, wurde ihr Job immer mehr zur Nebensache. Es ging nicht anders, er war zu schwach geworden. Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ihm wurde ein rascher Verlauf prognostiziert, sterben im Schnelldurchlauf. Konstantin war nur noch eine Hülle. Seine Kraft, sein Leuchten – das alles war bereits weg, bevor er tatsächlich starb. Der Tod griff nicht plötzlich zu, es war ein Prozess. Jeden Tag kam der Sensenmann und nahm etwas von ihm mit. Bis Konstantin schließlich ganz verschwand, einfach so. Sie konnte nichts dagegen tun. Für ihre Tochter spielte sie die Starke, die ihre Trauer auf keinen Fall nach außen tragen wollte. Nora hatte ihren Vater so geliebt. Sandra wollte es für sie nicht noch schlimmer machen. Ihrer Tochter zuliebe musste sie aufrecht bleiben. Sie hatte gemerkt, dass sie Nora damit manchmal irritierte. »Mama, musst du gar nicht weinen?«, hatte sie einmal gefragt. Wie absurd. Natürlich. Noch immer. Der Schmerz lässt einfach nicht nach.

Sandra gießt sich einen Schnellkaffee auf. Eine ordentliche Kanne zu kochen, so wie früher, lohnt nicht. Sie reißt einen Müsliriegel auf und erinnert sich, wie genervt sie war von all den Eltern, die ihren Kindern kein vernünftiges Frühstücksbrot in die Kita mitgegeben haben. Nun ist sie keinen Deut besser.

Der Kaffee brennt an Oberlippe und Zungenspitze. Hektisch pustet sie in die Tasse.

Erst später hatte sie bemerkt, dass Verschlossenheit genau der falsche Weg gewesen war. Sie hätte einfach ehrlich sein müssen, zu sich selbst und zu Nora. Ihre Traurigkeit lauerte weiterhin in ihr, fraß sie auf. Und als sie schließlich vollständig herausbrach, war es so heftig, dass Sandra dachte, sie müsste ihrem Mann auf der Stelle folgen.



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