Stachelbeerjahre by Inge Barth-Grözinger

Stachelbeerjahre by Inge Barth-Grözinger

Autor:Inge Barth-Grözinger [Barth-Grözinger, Inge]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783522620451
Herausgeber: Thienemann Verlag GmbH
veröffentlicht: 2016-03-14T16:00:00+00:00


Vorne, an der großen Treppe, wartete Sieglinde auf sie. Sie sah ungewöhnlich ernst aus. »Weißt du es schon?«

Marianne nickte. »Karin ist vorhin von ihrer Tante abgeholt worden.«

»Rudi auch. Frau Conrad wollte uns nicht sagen, warum. Aber in der Pause hat es sich in Windeseile herumgesprochen.«

Schweigend schlugen sie den Weg zur Siedlung ein. Sie gingen schneller als sonst und die anderen blieben zurück. Marianne war froh darüber, sie wollte mit ihren Gedanken allein sein und Sieglinde schien ähnlich zu empfinden, sie sagte nur noch einen Satz, als sie die Enzbrücke überquerten: »Was wird nur werden, sie kennen ihn doch gar nicht?«

Marianne schwieg. Was gab es darauf auch zu sagen?

Ihre Schritte verlangsamten sich, als sie an Neumanns Haus angelangt waren. Vor dem Eingangstor parkte ein großes neues Auto, ein Borgward, wie sie von den Jungen wusste. Er gehörte dem neuen Doktor, der immer noch so genannt wurde, obwohl er schon über ein Jahr im Dorf war.

»So eins möchte ich später auch haben«, hatte Rudi noch vor einer Woche geschwärmt. »Ein Borgward Isabella, hellblau mit weißen Ledersitzen.«

Jetzt saß Rudi unten bei seinem Vater, den er gar nicht kannte. Warum der Doktor wohl da war? Vermutlich ging es dem Herrn Neumann schlecht. So viele Jahre in Gefangenschaft! Kurt hatte vorhin in der Pause erzählt, dass die meisten in Sibirien, ganz weit im Osten Russlands gewesen seien, wo es sehr kalt und unwirtlich war.

»Bis zu minus vierzig Grad hat’s da und bestimmt haben sie keine richtigen Schuhe und wenig zu essen gehabt, das muss man sich mal vorstellen!«

Nein, das konnte man sich nicht vorstellen. Alles, was mit dieser Zeit und mit diesem Krieg zu tun hatte, konnte man sich nicht vorstellen, auch nicht das, was mit dem Danner passiert war. Eine riesige, schwarze Krake, das Böse, es war immer noch da, Gottfried hatte ganz recht, es war da, auch wenn man nicht darüber sprach.

An Neumanns Schuppen lehnte ein klappriges Fahrrad.

»Guck mal, der Herr Pfarrer ist auch da.« Sieglinde stupste Marianne in die Seite und deutete auf das Haus. Alles war ganz still da drin, hinter den zugezogenen Gardinen bewegte sich nichts.

»Richtig unheimlich, nicht? Als ob gar keiner da wäre.« Sieglinde starrte auf die Eingangstür, als erwarte sie, dort jeden Moment ein Mitglied der Familie zu sehen. Marianne zog sie mit. Diese unverhohlene Neugierde war ihr peinlich. Wenn jetzt wirklich jemand herauskäme? Außerdem hatte es wieder zu regnen begonnen und der Wind frischte auf.

»Wie mag er denn aussehen? Der Herr Neumann, meine ich.«

»Keine Ahnung. Schlecht, denke ich mal. Sonst wäre ja auch der neue Doktor nicht da.«

»Vielleicht ist er auch wegen der Frau Neumann gekommen. Überleg mal, der Schock … Gehst du nachher zu Karin?«

Marianne zögerte. Sie hatte es mit ihr ausgemacht, vorhin in der Schule. Aber da hatte sie auch noch nicht gewusst, was passiert war. »Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Da kann man doch jetzt nicht stören.«

»Geh nur, Karin wird sich freuen. Sie wird doch mit jemandem reden wollen.«

Marianne lief schweigend den Hang hinauf. Sieglinde war so naseweis. Nein, sie würde ganz gewiss nicht gehen, heute nicht.



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