Sonntags im Maskierten Waschbär by Nink Stefan
Autor:Nink, Stefan
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Limes Verlag
veröffentlicht: 2015-10-26T16:00:00+00:00
22
An Bord der Esperanza, drei Kreuzfahrtstage später.
Die Dreiecksflossen waren immer nur einige Sekunden lang zu sehen, bevor sie wieder zwischen den flachen Wellen verschwanden. Wenig später tauchten sie dann an anderer Stelle auf, ein Stück weiter weg oder etwas näher am Boot. Die Spitzen glitten durch das Wasser, als müssten sie das Meer nach einem geheimen Aenne-Burda-Schnittmuster bearbeiten. Wenn sie erneut verschwanden, hinterließen sie ein kurzes Gekräusel an der Oberfläche.
Die beiden Mantarochen schienen sich im Windschatten der Esperanza wohlzufühlen. Manchmal, wenn das Sonnenlicht im richtigen Winkel auf das Wasser fiel, konnte man mehr von ihnen sehen als die nach oben abgeknickten Enden ihrer Flossen. Dann hellte sich der Ozean plötzlich auf und man erkannte, wie riesig die Fische waren, sieben, acht Meter von der einen Flossenspitze zur anderen. Ihre trapezförmigen, flachen Körper wirkten elegant und schwerelos. Es sah aus, als schwebten sie knapp unter der Meeresoberfläche.
Siebeneisen hatte den Rochen eine Weile zugesehen. Er saß an Deck und nippte an einem Drink; auf dem Tisch neben ihm lag ein Fachbuch über Schildkröten, das Miguel ihm geliehen hatte. Aus dem wusste er, dass er eine Chelonoidis nigra hoodensis bei der Paarung gestört hatte. Rote Liste, vom Aussterben bedroht, über zwei Inseln verwandt mit dem legendären Lonesome George, dem letzten Vertreter der Species Chelonoidis nigra abingdonii. George hatte sich erst kürzlich verabschiedet und einen Medienrummel verursacht, wie ihn sonst nur tödlich verunglückte Prinzessinnen auslösen.
Die Sonne tat gut. Siebeneisen rückte seinen Stuhl ein wenig nach rechts, damit sie weiterhin auf sein malträtiertes Gesicht fiel. Natürlich war alles genauso gewesen, wie er es vermutet hatte. Sie hatten ihn nicht nur auf Española vergessen, sondern auch nicht bemerkt, dass sie ihn vergessen hatten. Nach dem Rundgang auf der Insel waren die Ausflugsboote zurück zur Esperanza gefahren, und in dem allgemeinen Trubel nach der Rückkehr der Passagiere (und auch wegen der zahlreichen hochprozentigen Drinks, die zu diesem Zeitpunkt bereits auf sie warteten), hatte niemand Siebeneisen vermisst. Erst nach dem Abendessen war aufgefallen, dass ein Passagier fehlte. Zum Glück hatte die Yacht da noch vor Anker gelegen.
Als er nachts mit Miguel im Schlauchboot zurückgekehrt war, hatten bis auf Anna und Maria alle anderen Passagiere bereits geschlafen. Als sie ihn bemerkten – beziehungsweise: als sie die Kaktusnadeln sahen, hatten sie die Hände vors Gesicht geschlagen und endlos auf Italienisch lamentiert, Mamma mia hatte Siebeneisen verstanden und allerlei fromme Formulierungen. Sie hatten einen Verbandskasten organisiert und anschließend mit einer Pinzette jeden einzelnen Stachel entfernt. Was wegen des Seegangs und des dadurch verursachten Schwankens eine mühselige Angelegenheit gewesen war.
»Na? Wie geht es unserem kleinen Riccio heute?« Maria erschien neben Siebeneisen und inspizierte das erste der insgesamt sechzehn kleinen Pflaster auf seinem Gesicht. Vielleicht war es auch Anna, er konnte die beiden nicht auseinanderhalten. Seine Versuche, die Schwestern an ihren grellbunten Strickklamotten zu unterscheiden, waren gescheitert, weil sie die Sachen offensichtlich untereinander tauschten. Beide trugen das gleiche Parfum und das gleiche Sonnenbrillenmodell mit riesigen schwarzen Gläsern, mit denen sie wie die Fliege Puck aus Biene Maja aussahen. Ihre Stimmen waren identisch. Die
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