Sonnenscheinpferd by Sigurðardóttir Steinunn

Sonnenscheinpferd by Sigurðardóttir Steinunn

Autor:Sigurðardóttir, Steinunn [Steinunn, Sigurðardóttir,]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-10-31T00:00:00+00:00


Harald erkrankte und starb in dem Jahr, bevor ich nach Kopenhagen ging. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, mit «Opas beiden Mädchen» das Land zu verlassen, solange er noch lebte, denn sie bedeuteten ihm alles. Ása mit den dunklen Brauen und der hohen, geraden Nase war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, und er war beiden wesentlich mehr zugetan als anderen lebenden Frauen.

Wenn ich Harald richtig beurteile, hatte er genug von diesem Erdendasein (wie das Hausmedium sich auszudrücken pflegte) und hätte es auch akzeptiert, gehen zu dürfen, bevor meine Töchter geboren wurden. Aber nachdem sie sein Ein und Alles geworden waren, wollte er gern sehr viel länger leben, um sie heranwachsen zu sehen und ihnen einen Bruchteil dessen zu geben, was er und Ragnhild meinem Bruder und mir vorenthielten.

Während Haralds Krankheit passierten viele Geschichten, die ich damals gar nicht mitbekam, so wie das Leben selbst genau vor unserer Nase verstreicht, während wir es leben. Die Tage kommen und gehen, und kurz bevor sie damit aufhören, sehen wir endlich, dass da das Leben selber unterwegs gewesen ist – ungefähr so hat es irgendein Dichter formuliert.

Es entging mir, dass Ragnhild mich zur Aufsichtshabenden über Krankheit und Tod ihres Mannes machte, und auch, dass sie Mummi davon fernhielt. Sie richtete es sogar so ein, dass ich ganz allein bei Harald war, als er starb. Was bezweckte sie damit? Das ist die Frage. Nicht nur damals, sondern überhaupt.

Für mich ist Ragnhild nie von dem her begreiflich, was sie bezweckt, sondern nur von ihren Ansichten her. Aus meiner Sicht könnte sie sogar die einzige Person auf der Welt sein, die absolut gar nichts bezweckt, sondern nur eine einzige überdimensionale Ansicht ist, zusammengesetzt aus vielen kleineren Ansichten. Möglicherweise war es ihre göttliche Ansicht, dass Harald im Sterben am besten bei mir aufgehoben war. Natürlich war ich Expertin auf diesem Gebiet, und Ragnhild, die gegebenenfalls hyperpragmatisch sein konnte, hatte womöglich von diesem Aspekt her den Kurs festgelegt.

Oder es war ihre Ansicht, dass es den Sterbenden stören würde, uns beide um sich zu haben, uns, die wir uns von Anfang an auf unberechenbare und komplizierte Weise in den Zimmern in der Sjafnargata in die Quere gekommen waren, gleichgültig, wie unsichtbar oder tot ich mich abwechselnd stellte, und dass ich in keine anderen Zimmer ging, wenn sie zu Hause war. So viel weiß ich, dass es Ragnhild nicht darum zu tun war, sich selbst etwas zu ersparen, indem sie mich mit Haralds Tod betraute. Denn das gehörte zu den Dingen, die sie gar nicht kannte: sich etwas ersparen.



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