Schokoladenkind by Zöllner Abini

Schokoladenkind by Zöllner Abini

Autor:Zöllner, Abini [Zöllner, Abini]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-04-28T16:00:00+00:00


Von unseren Hochzeitsstrapazen erholten wir uns durch einen Umzug. Wir hatten eine Wohnung in der Nähe vom Stadion der Weltjugend bekommen. Unser Stadtbezirk hieß nun nicht mehr Lichtenberg, sondern Mitte, obwohl er gar nicht in der Mitte Ostberlins lag: Vom Dach unseres Hauses konnten wir nach Wedding und Tiergarten schauen, beide Westbezirke waren nur ein paar hundert Meter Luftlinie von uns entfernt.

Das Stadion der Weltjugend war der Austragungsort der Pokalendspiele der DDR und der Länderspiele. Wenn hier ein Spiel stattfand, bildeten die Posten aus dem Wachregiment «Feliks Dzierzynski» an der Westseite des Stadions eine Kette. Dieses Wachregiment war ein besonderes: Es war dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellt. Und weil ein Fußballspiel möglicherweise die Sicherheit des Staates wegkicken könnte, standen die Jungs sicherheitshalber Schulter an Schulter.

Könnte ja sein, dass sich ein Fußballfan nach einem enttäuschenden Spiel vor lauter Frust zu einer Republikflucht entschließt. Oder aus falsch verstandenem Freiheitsdrang. Aber was hätte er da drüben schon von seinen Freiheiten? Von der Redefreiheit, der Reisefreiheit? Wäre er dann nicht auch frei von sozialer Sicherheit, frei von Arbeitsplatzgarantien? Konnte nicht aus jedem unsicher Beschäftigten schnell ein sicher Unbeschäftigter werden? Könnte er das wollen? Sollte er das dürfen? Nein, in der DDR war klar, wer was falsch versteht. Und wer das nicht verstand, wurde auch gegen seinen Willen behütet. Dafür gab es die aufmerksamen Posten und den Schutzwall, den antifaschistischen. Denn niemand sollte einfach aus Frust beschließen, sich nicht mehr schützen zu lassen.

Weil unsere Wohnung also in grenznahem Gebiet lag, gab es laufend Personenkontrollen. Egal, ob ich vom Einkaufen kam oder von der Kinderkrippe, oft musste ich Kontrolleuren in Zivil meinen Ausweis zeigen. Nach einer Weile kannte ich die meisten und winkte ihnen von weitem mit meinen Papieren zu. Das waren nette Jungs, immer sehr höflich. Schon bald begrüßten sie mich mit den Worten: «Guten Tag Frau Zöllner, Ihren Ausweis bitte. Zur Identifizierung.» Aber klar, ich hatte Verständnis.

Das war ein lustiges Wohnen, wo man erst mit Namen angesprochen wurde und sich anschließend ausweisen musste. Wahrscheinlich war es der einzige Grund, weshalb wir dorthin gezogen sind. Einen andern gab es eigentlich nicht. Denn aus einer Zweizimmerwohnung wechselten wir in eine Zweizimmerwohnung. In Mitte zu leben war eben spannender.

Auch weil wir nicht mehr im zweiten Stock wohnten. Wie lächerlich wäre es gewesen, in Lichtenberg einen Ring aus dem Fenster zu schmeißen, und wie eindrucksvoll flog er hier in Mitte durch den Hinterhof – aus dem vierten Stock. Anfangs hatten wir Glück, da fanden wir die Ringe wieder. Aber als eines Tages im Parterre ein schwules Pärchen einzog, unsere Auseinandersetzungen belauerte und flink in den Hof eilte, während wir noch die Küchenschränke leer räumten, spätestens da wurde unser Sport ein teures Vergnügen. Wenn wir uns nicht ruinieren wollten, hatten wir nur drei Chancen: Entweder hörten die Auseinandersetzungen auf. Oder sie gingen weiter, und wir kauften keine neuen Ringe mehr. Oder sie gingen weiter, und wir fänden etwas anderes zum Werfen.

Bei seinem ersten Westkonzert im März 1989 in Bregenz, zu dem immerhin ein Viertel der Band fahren durfte, verdiente Dirk umgerechnet einhundert D-Mark.



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