Schicksalsreise. Fischer Klassik PLUS by Alfred Döblin

Schicksalsreise. Fischer Klassik PLUS by Alfred Döblin

Autor:Alfred Döblin [Döblin, Alfred]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104030142
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-09-27T16:00:00+00:00


Wie um uns zu quälen, fliegen alle paar Tage deutsche Flugzeuge über die Stadt. Sie fliegen absichtlich niedrig. Es macht ihnen nichts aus, daß hier die unbesetzte Zone ist. Dicht über meinem Kopf flog einmal eins dieser Flugzeuge, als ich still in dem kleinen Park an der Kirche saß, vormittags. Über den Markt flog es und ängstigte Menschen, Frauen fielen in Ohnmacht.

Wartezeit

Wir hatten unseren Wohnsitz in dem alten feuchten Gemäuer genommen, aus dessen Ritzen abends die Mücken schwirrten. Öffnete man die wandschrankartigen Nebengelasse des Wohnraumes, so quoll eine dumpfe Luft heraus.

Wie lebten wir?

Man stieß morgens Holzläden des Fensters auf, unten lag der grünschimmelige Hof und auch auf der Gegenseite die Fensterläden geöffnet, von Flüchtlingen, Noteinquartierten wie wir. Man hatte es nicht leicht, den Waschraum zu finden. Er war jedoch da. Man mußte nur durch einen kleinen Gang, dann durch einen weiten Schlafraum, der ca. 20 Betten hatte, dann mehrere Gänge kreuzen, alles nicht übermäßig hell, dann erblickte man in der Ferne einen bläulichen Schein, und auf ihn mußte man mutig zusteuern. Er hatte etwas Unheimliches, Mystisches – aber es war der Waschraum. Seine Fenster waren früher blau angestrichen.

Da gab es Becken und fließendes Wasser.

Wen aber ein menschliches Rühren ankam, der mußte seinen Marsch noch weiter fortsetzen, eine Tür des magischen Waschraums öffnen und durch sie hinaus auf eine Galerie treten. Von dort konnte er zunächst einen Blick auf den engen wassertriefenden Hof, einen Schacht, eine Schlucht werfen, die Mückenbrutstätte. Aber am Ende der Galerie fand sich auch, klein, verloren und versteckt, das, was man in seiner Herzensnot begehrte und vor das die Götter hier so viele Gänge, Säle und Galerien gesetzt hatten.

Unsern Raum verließen wir morgens zu dritt, manchmal nach der Einzelpatrouille unseres Jüngsten. Es ging in das Café.

Das Café befand sich, wenige Minuten von uns entfernt, in einer großen, von der Elektrischen durchzogenen Straße, gegenüber einer Kirche. Es wäre schnödeste Undankbarkeit, wenn ich in diesem Bericht außer von schwierigen und bitteren Dingen nicht auch von diesem Toulouser Café spräche und sein Lob verkündete. Es bot uns einen vorzüglichen Kaffee mit Creme, Milchschaum und Zucker. Dieses heiße Getränk wurde im Stehen genossen. Es ist klar, warum die Firma den Kaffee nur für Steher ausschenkt und an den Genuß ihres Getränks die Bedingung »Stehen« geknüpft hat: wer sitzt, schwatzt; wer aber zu einer Sache stehen muß, richtet seine Aufmerksamkeit konzentriert auf sie. Daher hat die Firma zu der verständlichen Maßnahme gegriffen, ihren erstklassigen Kaffee nur an Personen abzugeben, die durch ihre aufrechte Haltung zu erkennen geben, daß sie das gelieferte Produkt zu würdigen wissen. In Toulouse bot man, soviel ich weiß, diesen Kaffee nur in dem unauffälligen Lokal gegenüber einer Kirche aus, im Zentrum der Stadt. Zum Lob und zur Charakteristik der Einwohnerschaft von Toulouse sei aber gesagt, daß der kleine Raum nie leer wurde.

Hier erklommen wir am frühen Morgen die Höhe des Nahrungsgenusses. Denn von den übrigen Mahlzeiten ist wenig zu melden. Am Marktplatz, am Rathausplatz befand sich ein Restaurant, das für einen mäßigen Preis eine ebenso mäßige Mahlzeit bot. Um zu ihr zu gelangen, hatte man sich nach zwölf Uhr vor der verschlossenen Tür anzustellen.



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