Süden by Friedrich Ani
Autor:Friedrich Ani [Ani, Friedrich]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426509357
Herausgeber: Droemer Knaur
veröffentlicht: 2012-05-01T22:00:00+00:00
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Das überraschende, unerklärliche Abtauchen eines Menschen, sagte der ehemalige Hauptkommissar Paul Weber vom Dezernat 11 oft, löse nicht nur Furcht und Sorgen bei Angehörigen aus, sondern gelegentlich auch »dauernde Apathie und Selbstverborgenheit«.
An diese Worte musste Süden denken, als er sich in der Halle des Ostbahnhofs von Nike und Benedikt Schwaiger verabschiedete, ohne dabei viele Worte zu verlieren.
Auf dem Weg von der SedanstraÃe zur S-Bahn hatten sie höchstens vier Sätze gewechselt. Süden war vorausgegangen, Mutter und Sohn kamen Hand in Hand hinterher.
Apathie und Selbstverborgenheit â für Süden waren das keine Begriffe, die etwas erklärten. In seinen Augen ummantelten sie eher einen Zustand, um ihn für die Beteiligten erträglicher zu machen. Als Polizist hatte Süden sich häufig missverstanden gefühlt, die Leute glaubten, weil er ihnen zuhörte und ihnen Raum für Ausschweifungen, Abschweifungen, Ausschmückungen, tröstliche Lügen und schmallippiges Säuseln gewährte, wäre er auf ihrer Seite und würde sie vor aller Welt verteidigen. Das tat er nicht.
Stundenlanges Zuhören entsprach seinem Wesen, es war kein Zeichen von Nähe oder Fürsorge, nicht einmal von Geduld oder Neugier. Das Schweigen ebenso wie das Für-sich-Sein hatte er von Kindesbeinen an gelernt, er beherrschte sein Alleinsein. Und wenn er im Dienst Vernehmungen durchführte, verhielt er sich nicht anders als in einem Lokal, wo die Leute mit ihm oder an ihn hin redeten. Ihre Not war ihm vertraut, und er wandte sich nicht ab. Ihr Bedürfnis, Farbe und GröÃe ihres Containeralltags in einem glücklicheren Licht erscheinen zu lassen, kannte er aus eigener Erfahrung. Ihre Selbstbetrügereien verwunderten ihn nicht.
Das bedeutete nicht, dass er im Lauf der Jahrzehnte zu einem Umarmer geworden wäre. Als Benedikt seine Mutter ohrfeigte, hätte Süden beinah noch länger zugesehen. Und als Nike ihr Gedankenstreugut vor ihm ausbreitete, war er kurz davor gewesen, sie zu unterbrechen und ihr zu sagen, er würde nun die Polizei und das Jugendamt informieren. Vermutlich hatte er sich nur deshalb anders, professionell, auf eine allgemeine Weise logisch verhalten, weil er für die Dinge in dieser Familie nicht zuständig war, sondern einen Auftrag zu erfüllen hatte, der eine andere Anwesenheit von ihm erforderte.
Trotzdem verschwanden manche Worte, Gesten und Blicke von Nike Schwaiger nicht aus seinem Kopf. Sie trieben ihn voran, zwangen ihn, Verbindungen zu knüpfen, Begegnungen zu vergleichen, den Echos nachzuhorchen.
Was Nike Schwaiger getan hatte, erschien Süden notgedrungen egozentrisch, nicht willkürlich oder bösartig. In ihrer Lebensbewegung hatte ein Sprung stattgefunden, und sie hatte sich, im vollen Bewusstsein ihrer seit jeher zementierten Verpflichtungen und Wegweiser, nicht dagegen gewehrt. Wie war das möglich? Woher hatte sie den Mut, den Ãbermut, die plötzliche Freiheit? Die trübsinnige Gegenwart eines Fremden lieà sie ihr Für-sich-Sein leichter ertragen als die unbedingte Nähe ihres Sohnes. Innerhalb weniger Tage entwickelte sie sogar eine groÃe Unbekümmertheit. Sie war nicht apathisch, dachte Süden, sie war nicht einmal selbstverborgen, sie war da, einfach so, und hatte fast keine Not dabei.
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