Rosengift by Pressler Mirjam
Autor:Pressler, Mirjam [Pressler, Mirjam]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
9
Es war mir bisher nicht aufgefallen, wie einsam meine Rosengärtnerin war, trotz Mann und Tochter, es fehlten ihr völlig die normalen Kontakte nach draußen, irgendjemand, mit dem sie einfach mal reden konnte, nicht über ihre Mordpläne, das war ausgeschlossen, sondern über das Wetter, über etwas, was sie in der Zeitung gelesen hatte, über den gestrigen Fernsehfilm und natürlich auch über ihren Mann, der seit seiner Pensionierung so schwierig geworden war und sich oft ekelhaft verhielt. In meinen Manuskriptseiten lebte sie wie eine Gefangene in einem Sicherheitstrakt, die außer ihren Wärtern niemanden zu sehen bekam. Sie hatte keine Schwester, keine Freundin, noch nicht einmal eine Nachbarin, mit der sie ab und zu eine Tasse Kaffee trinken konnte, denn Karo Sommer war zu jung für sie.
Ich wunderte mich darüber, dass mir das so lange entgangen war, vielleicht habe ich erst dich gebraucht, um das zu merken, und nun überlegte ich, ob ich noch eine Figur einfügen oder den Aspekt ihrer Einsamkeit, diesen freiwilligen Rückzug in die eigene Gedankenwelt, noch stärker betonen sollte. Schließlich gab ich ihr eine Freundin, eine Klavierlehrerin, die sie bei einem Volkshochschulkurs über Ökologie und Naturschutz kennen gelernt hatte, und arbeitete sie in das Manuskript ein. Sie kam mir sehr gelegen, weil die Rosengärtnerin ihr alles, was ich noch über die Kunst der Rosenzucht einbringen wollte, erzählen konnte, deshalb war ich zuerst ganz entzückt von meiner Idee. Doch als ich, nachdem ich einige Tage daran gearbeitet hatte, beim Frühstück einen Ausdruck des abgeänderten Manuskripts durchlas, merkte ich deutlich, dass dies ein falscher Weg war. Hätte sie jemanden gehabt, dem sie, wenn auch nur andeutungsweise, etwas von ihrem Ärger über ihren Mann hätte erzählen können, hätten sich ihre Gefühle nicht dermaßen angestaut, so wie ein Dampfkochtopf nicht explodiert, weil die geringen Dampfmengen, die entweichen, völlig ausreichen, um den Druck im Topfinneren unter Kontrolle zu halten. Sie musste also einsam sein, absolut einsam, damit das passieren könnte, was ich anstrebte. Deshalb nahm ich die Klavierlehrerin wieder aus dem Manuskript — nicht ohne ein gewisses Bedauern, sie hatte mir mit ihrem schrulligen Charme und ihrem Hang zu schrägen Vergleichen gut gefallen — und betonte mit einem Wort hier und einem Satz dort, wie einsam meine Rosengärtnerin wirklich war.
Mein Mitgefühl mit ihr wuchs, so wie man nach einer überstandenen Krankheit eine frühere Mitpatientin plötzlich bedauert, während man vorher, als es einem noch schlecht ging, eher dazu neigte zu sagen, wenn sie dasselbe durchmachen müsste wie ich, wüsste sie erst, was Kranksein wirklich bedeutet.
Sie tat mir Leid, auf eine zugleich mitfühlende und überhebliche Art, an die ich mich heute nur noch mit einer gewissen Verwunderung erinnere. Wie hochnäsig ich doch war. Was hatte ich ihr denn entgegenzusetzen, was gab mir das Recht, mitleidig zu sein? Nun ja, ich hatte, schon aufgrund meines Berufs, genügend lockere Außenkontakte, da gab es die Leute aus dem Verlag, aus Buchhandlungen und Büchereien, Journalisten, Leser, die mir Fanbriefe schickten, alles Menschen, die als Einzelne zwar keine große Rolle in meinem Leben spielten, es mir aber leicht machten, mich nicht
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