Roman mit Kokain (German Edition) by Agejew M

Roman mit Kokain (German Edition) by Agejew M

Autor:Agejew, M. [Agejew, M.]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Random House DE
veröffentlicht: 2012-10-21T22:00:00+00:00


9

Moskau, September 1916

Mein lieber und guter Wadim!

Es schmerzt mich sehr, aber ich weiß doch, dass dies mein letzter Brief an Dich sein wird. Du weißt ja, dass unsere Beziehung seit jenem Abend (Du weißt, welchen ich meine) äußerst qualvoll geworden ist. Wenn eine Beziehung einmal an diesem Punkt angekommen ist, gibt es kein Zurück mehr, und sie kann niemals wieder so werden wie früher; mehr noch: Je länger eine solche Beziehung andauert, je beharrlicher beide Seiten versuchen, einander die frühere Nähe vorzutäuschen, desto deutlicher kommt jene entsetzliche Feindseligkeit zum Vorschein, die es niemals zwischen Fremden geben kann, sondern nur zwischen Menschen, die sich sehr nahestehen. Bei einer solchen Beziehung genügt es, wenn einer dem anderen die Wahrheit sagt, die ganze Wahrheit – verstehst Du: die volle Wahrheit –, damit diese Wahrheit sofort zur Anklage wird.

Wenn man eine solche Wahrheit sagt, wenn man mit uneingeschränkter Offenheit seinen ganzen Abscheu gegenüber dieser Liebeslüge äußert, dann zwingt man ja denjenigen, dem man diese Wahrheit sagt, dazu, sie entweder schweigend anzuerkennen, und dann ist alles zu Ende, oder aber, aus Angst vor diesem Ende, doppelt zu lügen – für sich selbst und für den, der diese Wahrheit ausgesprochen hat. Ich schreibe Dir also, um Dir diese Wahrheit zu sagen, und ich bitte Dich, ich flehe Dich an, mein Lieber, lüge nicht, lass diesen Brief unbeantwortet, sei aufrichtig zu mir wenigstens dadurch, dass Du schweigst.

Zunächst zu Deiner angeblichen Ohnmacht, die Du damals bei Jag vorgetäuscht hast (hier fällt mir auf, dass Ohnmacht und Vormachen etwas miteinander gemein haben). Damit hat ja eigentlich alles angefangen, oder genauer: Es hat damit angefangen, dass ich an diese Ohnmacht nicht geglaubt habe. Vom ersten Moment an wusste ich, dass diese Ohnmacht nur der Ausweg aus einer Lage war, die unerfreulich für Deine Eigenliebe und kränkend für meine Liebe war. Nebenbei bemerkt hätte dazu auch mein erster Verdacht gepasst, Du könntest krank sein – eine Vermutung, die ich sogleich wieder verwarf (als zwar möglich, aber falsch).

Du weißt, ich habe Dich an diesem Abend umsorgt, so gut ich konnte, habe Dir mal Wasser gebracht, mal ein nasses Handtuch, ich war zärtlich zu Dir, aber all das war schon eine Lüge. Ich dachte von Dir schon in der dritten Person, in meinen Gedanken warst Du für mich «er» geworden; wenn ich an Dich dachte, dann wandte ich mich nicht mehr direkt an Dich, sondern schien mit jemand anderem über Dich zu sprechen, mit jemandem, der mir jetzt näherstand als Du, und dieser «Jemand» war mein Verstand. So wurde ich Dir fremd. Aber damals, in dieser Nacht, habe ich Dich getäuscht, habe Dir nicht die Wahrheit gesagt, konnte nicht sagen, was ich Dir jetzt schreibe: Ich war gekränkt. Wenn ein Mensch einen anderen kränkt, dann kann die Kränkung von zweierlei Art sein: vorsätzlich oder unbeabsichtigt. Die erste Kränkung ist nicht schlimm: Man reagiert darauf mit Streit oder Beschimpfung, mit Faust oder Waffe; die Antwort mag brachial sein, aber sie hilft immer, und eine vorsätzlich zugefügte Kränkung lässt sich so leicht abwaschen wie Schmutz in der Badewanne.



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