Reportage Indien by Karin Steinberger

Reportage Indien by Karin Steinberger

Autor:Karin Steinberger
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Picus Verlag
veröffentlicht: 2017-03-15T16:00:00+00:00


Ruhm und Eier

Ramkishan Gawlani oder die Geschichte vom besten Omelette Indiens

Dass sich in seinem Leben etwas Entscheidendes getan hatte, merkte Ramkishan Gawlani am steigenden Eierkonsum. Er konnte gar nicht genug heranschaffen, die Leute waren plötzlich wie besessen – süchtig nach seinen Omelettes. Masala Spanish with Cheese Omelette, Butter Sweet Omelette, Michaelbaba Special Spanish Omelette, egal was er machte, sie rissen es ihm aus den Händen. Amerikaner, Engländer, Franzosen, Deutsche, Japaner, Schweden – irgendwann auch Inder. Plötzlich stritten sie sich um einen Platz auf seinen billigen Stühlen, mitten im Lärm der Straße.

Sein Curry und sein Pulao interessierten keinen mehr. Der Hammel wurde ranzig, der Reis trocken wie der Sand der Thar-Wüste. Es war, als hätte sich jemand auf die gigantischen, alles überragenden Mauern des Mehrangarh-Forts gestellt und mit einem Megafon in die Welt geschrien, dass jeder mit dem Tod bestraft wird, der nicht sofort ein Omelette bei Ramkishan Gawlani isst.

Also aßen sie, ach was, sie fraßen. Es dauerte eine Weile, bis Gawlani verstand, dass diese Menschen zu ihm kamen, weil sie alle das Buch gelesen hatten, in dem geschrieben stand, dass es in Jodhpur einen Omelette-Shop gibt, gleich hinter dem Tor, nicht weit vom Glockenturm, mitten am Sadar-Markt. Und dass man hier für lächerliche fünfzehn bis fünfzig Rupien das beste Omelette Indiens kaufen kann.

Ramkishan Gawlani verstand sofort, dass das nicht irgendein Buch war, sondern das Buch, das die Leute »die Bibel« nennen, Heiligtum aller Traveller – der »Lonely Planet«, herausgegeben vom weltweit größten Verlag für Reiseführer, dessen Handbücher in vierzehn Sprachen und mit einer Gesamtauflage von fünfundfünfzig Millionen erscheinen. Im ganzen Land sieht man Reisende mit dem »Lonely Planet India«, mehr als tausend Seiten dick. Wer in diesem Buch steht, ist ein reicher Mann. Gawlani stand drin.

Das war 1999, seitdem ist nichts mehr, wie es einmal war. Ramkishan Gawlani steht in seinem Laden, haut ein paar Eier in eine Schüssel, verquirlt sie, gibt sie in die Pfanne. Er ist der Omelette Man von Jodhpur. Er macht Omelettes. Was sonst.

Sein Sohn bringt die Speisekarte, »Omelette Shopee« steht drauf. Der Vater muss arbeiten, nur er kennt das Geheimnis der besten Omelettes Indiens, mit einer Prise Kurkuma, ölig und saftig, zwischen vier Toastscheiben gepresst, ein wenig unansehnlich, aber unübertroffen. »Eigentlich war das ein Fehler, mein Vater hatte gar keinen Omelette-Shop, er hatte ein kleines Restaurant, Hammel-Curry, Pulao-Reis und eben auch Omelettes«, sagt der Sohn. Hinter ihm steht der Vater, eingekeilt von meterhohen Eiertürmen, vor sich eine kleine Pfanne. Er rührt, quirlt, brät, quetscht, mehr braucht er nicht: eine Pfanne und ein Geheimnis.

Aber dann lässt er die Eier doch kurz Eier sein und redet, weil er es manchmal noch immer nicht glauben kann, was da passiert ist. Es war wie ein Tsunami. Fünfundzwanzig Jahre lang war er nur einer von vielen, einer, der gerade so über die Runden kam. Und dann ein paar Zeilen im »Lonely Planet India« – und das Leben stand Kopf. Seitdem kauft er nur noch Eier, zehntausend in der Woche, tausend am Tag, in der Hochsaison auch mal fünfzehnhundert.

»So viele Eier«, sagt Ramkishan Gawlani und fährt sich durch das Haar, das orange schillert.



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