Raubfischen by Jügler Matthias

Raubfischen by Jügler Matthias

Autor:Jügler, Matthias [Jügler, Matthias]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2015-05-09T16:00:00+00:00


6

DER ZUSAMMENGEKLAPPTE ROLLSTUHL NEBEN dem Kleiderschrank ist das erste, was ich sehe. Ich mustere ihn. Die schwarze Sitzfläche aus Kunstleder im Sonnenlicht. Fast golden scheint dieser Tag durch das kleine Fenster. Ich habe ihn mir anders vorgestellt. Weniger freundlich, regenverhangen. Kurz bleibe ich am Fußende seines Bettes stehen. Er schläft, die Arme beschreiben zwei Parallelen auf seiner Bettdecke. Ich sehe das Rückenkissen des Rollstuhls, ebenfalls schwarz, die beiden Armlehnen, die abnehmbaren Beinstützen, die Fersenhalter. In Gedanken klappe ich den Rollstuhl zusammen, wieder auseinander. Ein Schrecken durchfährt mich: Was ist, wenn er nicht in das Auto passt?

Ich setze mich zu ihm auf die Bettkante. Entgegen meiner Erwartung ist die Luft nicht stickig hier. Schwester Karin hat gelüftet, sie hat mich eben auch begrüßt, unten im Empfangsbereich. Großvater ist nicht aufgewacht. Das erste, was er nach seinem Schlaf sehen wird, ist das helle Licht dieses Tages.

Ich packe, ohne Großvater aufzuwecken. Habe ich meine Sachen zu Hause noch beinahe wahllos aus dem Schrank genommen und in den Rucksack gesteckt, lasse ich mir nun Zeit. Ich halte ein blau-weiß kariertes Flanellhemd in meinen Händen und wäge ab. Es hat ein kleines Loch in der Brusttasche. Ich lege es zurück in den Schrank. Großvater legt Wert auf unversehrte Kleidung, auf akkurat gekämmtes Haar, saubere Hände – etwas, das ich nicht teile, Großvater aber zugestehe. Auch jetzt. Ich suche zwei Hemden heraus, die in einwandfreiem Zustand sind und lege sie, nachdem ich sie sorgfältig zusammengefaltet habe, auf das Fußende des Betts. Zu den Hemden lege ich eine Jeans für die Fahrt, daneben eine grüne Stoffhose. Außerdem: zwei Pullover, einen dicken, einen dünnen, eine Regenjacke, Socken, Kniestrümpfe, eine lange Unterhose, Unterwäsche, drei T-Shirts, das Beatmungsgerät, so groß wie ein Schuhkarton, das Netzteil, die zwei Akkus, das Ladegerät.

Ich stehe am Fenster. Die Wiese liegt vor mir, drei Baumkronen auf Augenhöhe, der Buchenstumpf, dahinter ein schmaler Streifen Asphalt, die Hauptstraße. Als Großvater aufwacht, habe ich seine Reisetasche schon gepackt. Ich bin unten im Foyer gewesen, habe Schwester Karin gesucht und erklärt, dass ich mit Großvater spazieren gehe.

»Wir fahren jetzt«, sage ich, »morgen früh schon sind wir da.« Ich halte seine Hand und sitze, wie immer, wenn ich ihn allein besuche, auf der Bettkante. Schließt er seine Lider einmal, bejaht er etwas, schließt er sie zweimal hintereinander, verneint er. Ich sage ihm nicht, dass ich nervös bin, dass wir uns beeilen sollten.



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