Proleten, Pöbel, Parasiten by Christian Baron

Proleten, Pöbel, Parasiten by Christian Baron

Autor:Christian Baron [Baron, Christian]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Politik
Herausgeber: Verlag Das Neue Berlin
veröffentlicht: 2016-08-31T23:00:00+00:00


Der aufhaltsame Aufstieg der AfD

In Österreich wählten 86 Prozent der Arbeiter bei der Bundespräsidentenwahl 2016 den rechtsradikalen Kandidaten Norbert Hofer. In Ungarn regiert mit Viktor Orban ein rechtsautoritärer Regierungschef von Gnaden der breiten Bevölkerung. In Frankreich werden dem rechtsradikalen »Front National« und der Kandidatin Marine Le Pen ernsthafte Chancen auf das Amt der Staatspräsidentin eingeräumt. In den Niederlanden und Belgien sind die Rechten schon länger auf dem Vormarsch. Die EU agiert in ihrer Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik derart menschenfeindlich, dass dafür der Begriff »Protofaschismus« zur Charakterisierung nicht gänzlich aus der Luft gegriffen wäre. Und in Deutschland scheint der Aufstieg der AfD derzeit unaufhaltsam.

Erfolgreich macht diese rechten Bewegungen vor allem, dass sie die abgesicherte und die abstiegsbedrohte Mitte gleich gegen zwei »Unterschichten« aufbringen können: den »leistungsfeindlichen deutschen Sozialschmarotzer« einerseits und die »Wirtschaftsflüchtlinge« andererseits. Beiden wird vorgeworfen, »unser Unglück« zu sein. Innerhalb der ärmsten Bevölkerungsteile gibt es wiederum Vorbehalte gegen zwei Gruppen: »die Reichen« und »die Ausländer«. Das macht sich die AfD zunutze, indem sie zum einen gegen den Finanzmarkt hetzt und das komplexe System des Kapitalismus auf einzelne Superreiche reduziert und zum anderen die herrschende Politik als Handlangerin einer kultur- und wohlstandsgefährdenden Flüchtlingspolitik darstellt.

Eine Bevölkerung, die in Teilen darauf hereinfällt, stellt die Linken vor ein großes Rätsel: Sie, die eigentlich linke Parteien wählen müssten, setzen ihr Kreuz ausgerechnet bei der wirtschaftsliberalen AfD. Obwohl sich diese Diagnose längst als falsch erwiesen hat, kommen sie nicht damit klar, dass die Arbeiter nicht automatisch links wählen, nur weil ihr objektives Klasseninteresse es nahelegt. Daraus hat sich, wie der Soziologe Didier Eribon am Beispiel der französischen Linken feststellt, ein »Klassenethnozentrismus« entwickelt: »Sie projizieren ihre eigene Denkweise auf die, deren Stimme zu hören und in deren Namen zu sprechen sie vorgeben – und zwar umso enthusiastischer, als sie Angehörigen dieser Klasse noch nie begegnet sind, außer vielleicht in Texten aus dem 19. Jahrhundert.«106

Eribon hat es vom »bildungsfernen« Arbeiterkind zum hochangesehenen Professor gebracht. In seinem grandiosen Buch »Rückkehr nach Reims« beschreibt er am Beispiel seiner Familie, wie sich die französische Arbeiterschaft den Linken ab- und den Rechten zugewandt hat. Er macht vor allem die Linke selbst dafür verantwortlich: Allen voran die sozialdemokratischen Parteien, die den Sozialstaat und soziale Grundrechte abgebaut haben, wie es konservative Regierungen niemals hätten durchsetzen können. Aber auch die radikale Linke, die seit den 1960er Jahren durch ihre autoritären Strukturen dazu beigetragen habe, dass viele Menschen sich in eine falsche Richtung entwickelten. Die Parallelen zu Deutschland sind an dieser Stelle überdeutlich.

Und doch gibt es sie hier bislang noch nicht, die rechtsradikale Partei vom Schlage eines »Front National«, die landesweit zur stärksten politischen Kraft aufsteigen könnte. Der AfD, die diese Rolle am ehesten einnehmen würde, lässt sich nur mit einer neuen sozialen Vision beikommen. Fast jeder Artikel, der sich mit der Partei beschäftigt, verwendet zur Charakterisierung das Attribut »rechtspopulistisch«. Vermeintlich entlarvende Interviews mit AfD-Vertretern erschöpfen sich darin, sie als rassistisch zu brandmarken. Ebenso wichtig aber wäre es, die Rechten sozialpolitisch zu stellen: Ihre Forderungen nach Steuersenkungen für Reiche, nach einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit, nach einer Abschaffung



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