Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter by Schimun Wrotschek

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter by Schimun Wrotschek

Autor:Schimun Wrotschek [Wrotschek, Schimun]
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: PeP eBook
veröffentlicht: 2012-02-26T23:00:00+00:00


11 Proswet

11

PROSWET

In der rötlichen Finsternis hörte Iwan eine feierliche Stimme.

»Es kommt der Tag, da diejenigen, die zurückgeblickt haben, das Augenlicht wiedererlangen werden. Amen, Brüder!«

»Amen!«, echote der Chor.

Die Stimmen wurden gedämpft durch eine Woge aus Schmerz, der heiß und blutig heranbrandete. Iwan spürte jeden einzelnen Nervenstrang seines Gehirns. Wenn ihre zerfaserten Enden sich berührten, sprühten blaue Funken hervor und hinter seinen Augen pulsierte blendendes Licht.

»Lots Weib hatte sich durch ihren Unglauben versündigt und erstarrte zur Salzsäule«, verkündete die Stimme. »Uns hingegen hat der Herr die Möglichkeit gegeben, zu begreifen und zu bereuen; die Möglichkeit, die Welt nicht mit dem körperlichen Auge zu sehen, welches von Beginn an sündig ist, sondern mit dem geistigen, das sich zu gegebener Zeit öffnen wird. Hört mich an, Brüder! Der Gehörnte ist nah! Es kommt die Zeit der Prüfungen! Amen!«

»Amen!«, wiederholte der Chor.

In den Pausen zwischen den Schmerzattacken sickerten lose Gedanken in Iwans Bewusstsein: Wo bin ich? Was ist passiert? Es war doch alles gut gewesen?

War?

Zunächst war in der Tat alles glattgelaufen. Die Fähre hatte sie bis zum hermetischen Tor gebracht. Dahinter verlief der trockene Teil des Tunnels, der zum Newski prospekt führte. Davor befand sich eine improvisierte Zollstation. Wie die Inseln in Neuvenedig schwamm auch sie auf Plastikbehältern, nur dass die Plattform nicht aus Brettern bestand, sondern aus Türen von Metrowaggons zusammengebaut war. Darauf standen ein Stuhl und eine Metalltonne als Schreibtisch. Als Lichtquelle diente eine Leuchtstofflampe, die so armselig flackerte, als wollte sie jeden Augenblick für immer verlöschen. Ab und zu trat der Zöllner mit dem Fuß gegen das Glasgefäß mit dem Zitteraal. Der zuckte dann kurz, riss das Maul auf, und die Lampe brannte für ein paar Sekunden heller.

Der Zöllner trug ein blaues Zugführerhemd. Die aufgekrempelten Ärmel entblößten dicke, stark behaarte Arme. Der Mann warf einen gelangweilten Blick auf die Ankömmlinge und winkte sie auf die Zollstation herüber. Nach Papieren fragte er nicht. Gut so, dachte Iwan.

Rechts vom hermetischen Tor befand sich der Einstieg in den Gang, durch den die Reisenden ihren Weg fortsetzen mussten.

Iwan fragte sich, wie wohl die Blinden mit der Umgehung des Tors zurechtkommen würden. Direkt nach dem Blindenführer sprang er auf die Zollinsel. Die Plattform schaukelte. Wasser spritzte.

Das war’s. Leb wohl, Neuvenedig.

Als Nächster verließ der Oberführer die Fähre. Im Augenwinkel beobachtete Iwan, wie der Blinde mit dem Zöllner tuschelte.

»Wo bleibt denn Mischa?«

Iwan wandte sich um. Verdammt!

Der junge Polizist lag rücklings auf der Fähre – und rührte sich nicht. Um ihn herum drängten sich die Blinden. Einer von ihnen hielt seinen Stock in die Höhe. Offenbar hatte er Kusnezow damit niedergeschlagen.

»Mischa!« Iwan machte einen Schritt zum Rand der Zollstation, doch im selben Moment wurde ihm klar, dass das ein Fehler gewesen war. Ein bleischwerer Pfropfen bildete sich in seinem Hinterkopf. Er hätte dem Blindenführer niemals den Rücken zukehren dürfen.

Langsam drehte er sich wieder um.

Noch bevor der Blindenführer wieder ins Bild kam, traf den Digger ein heftiger Schlag. Ein stechender Schmerz, als würde sein Kopf gespalten.

Noch im Fallen hörte Iwan das Kampfgebrüll des Oberführers.

Das bringt nichts, dachte Iwan.

Er fiel wie durch farblosen Sirup, lautlos und sanft.



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