Otto von Bismarck by Kolb Eberhard
Autor:Kolb, Eberhard [Kolb, Eberhard]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406667756
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2014-12-21T05:00:00+00:00
VI.
Konsolidierung und Friedenswahrung
(1871–1890)
Mit dem Abschluß der Reichsgründung endete die – wenn man so will – «heroische Phase» von Bismarcks politischer Laufbahn. Was folgte, in zwanzig Jahren Reichkanzlerschaft, waren die Mühen der Ebene – in den Zielen der Außenpolitik ausgerichtet auf die Bewahrung des europäischen Friedens, in der Innenpolitik ging es vor allem darum, das junge Reich nachhaltig zu konsolidieren. So unbestritten es ist, daß Bismarck sein außenpolitisches Hauptziel erreicht hat, so umstritten waren und sind nicht nur die Methoden, sondern auch die Ergebnisse seines innenpolitischen Handelns, und fraglos hat Bismarck auf dem innenpolitischen Felde manches, was er erstrebte, nicht erreicht. Auf diese Themenkreise wird einzugehen sein. Zunächst aber ist kurz zu beleuchten, wie es um den Mann stand, der so viele Jahre über eine gewaltige Machtfülle gebot.
Nach den extremen Belastungen eines Jahrzehnts aufreibender innen- und außenpolitischer Auseinandersetzungen war Bismarck gesundheitlich angeschlagen. Die persönlichen Zeugnisse sind voll beredter Klagen über den schlechten Gesundheitszustand und die abnehmende Arbeitskraft. Zwei Äußerungen aus dem Mai 1872: «Mein Öl ist verbraucht, ich kann nicht mehr.» «Mein Schlaf ist keine Erholung, ich träume weiter, was ich wachend denke, wenn ich überhaupt einschlafe. Neulich sah ich die Karte von Deutschland vor mir, darin tauchte ein fauler Fleck neben dem anderen auf und blätterte ab.» Derartige melancholische Äußerungen finden sich in den Quellen in großer Zahl. Es plagten ihn abwechselnd rheumatische Beschwerden, Gesichtsschmerzen, grippale Infekte, Magenkrämpfe, die alte Beinverletzung und immer wieder «die Nerven» – mindestens teilweise dürfte die schlechte gesundheitliche Verfassung auch psychosomatisch bedingt gewesen sein. Ganz gewiß war sie aber – neben der Arbeitsbelastung – auch auf eine höchst ungesunde Lebensweise zurückzuführen. Die Eßgewohnheiten im Hause Bismarck setzten die Gäste des Kanzlers immer wieder in Erstaunen. «Gegessen wird hier nach wie vor, daß die Wände krachen», bemerkte 1880 der Chef der Reichskanzlei: Das «Frühstück» bestand aus «Roastbeef oder Beefsteak mit Kartoffeln, kalter Wildbraten, Krammetsvögeln, aufgebratener Pudding usw.» Hinuntergespült wurde alles mit Rotwein, Champagner oder Bier. Der Kanzler, der in seinen jüngeren Jahren schlank gewesen war, nahm in den 1870ern stark an Gewicht zu. Er brachte 1879 schließlich 124 Kilo auf die Waage und war dem körperlichen Zusammenbruch nahe. Der unmäßigen Lebensweise wurde erst ein Ende gesetzt, als 1883 Dr. Ernst Schweninger Bismarcks Behandlung übernahm und dieser sich bereitfand, sich der von dem jungen bayerischen Arzt verordneten Diät zu unterwerfen. Wie es dem damals Dreiunddreißigjährigen gelungen ist, das Vertrauen des von Schlaflosigkeit geplagten Reichskanzlers zu gewinnen, hat Schweninger viele Jahre später, als er seinen Lebensabend in der Nähe Münchens verbrachte, dem Historiker Karl Alexander von Müller so erzählt: ‹Nun, heute Nacht Durchlaucht, werden Sie einmal schlafen.› ‹Das wollen wir abwarten›, erwiderte er skeptisch. Er, Schweninger, habe ihm einen feuchten Leibwickel gemacht und einige Tropfen Baldrian gegeben, die er aber als Schlafmittel bezeichnete. Dann habe er sich im Lehnstuhl an sein Bett gesetzt und eine seiner Hände in die seinigen genommen, ‹wie eine Mutter bei einem unruhigen Kind›, bis der Kanzler einschlief. Als er am Morgen wieder erwachte, saß der Arzt immer noch an seiner Seite, und er wollte nicht glauben, daß es Tag sei und er wirklich die ganze Nacht geschlafen hätte.
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