Oben Erde, unten Himmel by Milena Michiko Flašar

Oben Erde, unten Himmel by Milena Michiko Flašar

Autor:Milena Michiko Flašar
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Klaus Wagenbach
veröffentlicht: 2022-12-02T00:00:00+00:00


Die Nachricht vom Tod meines Vaters erfüllte mich mit keiner Trauer. Ich bedauerte es zwar, ihm fremd geblieben zu sein, aber davon abgesehen war mir die Angelegenheit eher lästig. Um es rechtzeitig zur Einäscherung zu schaffen, die schon am nächsten Tag stattfinden sollte, musste ich einen teuren Flug buchen, und als ob das nicht gereicht hätte, lag meine Frau mit einer fiebrigen Erkältung darnieder. Sie würde mich also nicht begleiten können. Unsere Kinder, die bereits ausgezogen waren, behelligte ich gar nicht erst. Sie hatten ihren Großvater kaum gekannt.

Die Einäscherung fand ohne Gäste statt. In letzter Sekunde erreichte ich das Krematorium, wo meine Schwester auf mich wartete. Auch sie war alleine gekommen.

»Wo ist Yōji?« Ich erkundigte mich nach meinem Schwager.

»Skifahren«, sagte meine Schwester.

»Und die Kinder?«

»Die sind – ach, was weiß ich, wo die sind. Alles ging so furchtbar schnell.« Gemeinsam sammelten wir die Knochen aus der Asche. Meine Schwester weinte. Ich nicht. Wir waren die einzigen direkten Angehörigen, und als wir später noch bei Denny's saßen, erzählte sie mir unter Tränen, dass ihr Mann eine Geliebte hatte.

»Yōji? Eine Geliebte?« Meinen Schwager hatte ich als gutmütigen, aber nicht sehr hellen Kerl in Erinnerung, und was meine Schwester an ihm gefunden hatte, war mir stets ein Rätsel gewesen.

»Schlimm, nicht? Da sitzen wir beide bei Kaffee und Kuchen, im Auto eine Urne, und unterhalten uns über meine Eheprobleme. Du wirst ihm übrigens immer ähnlicher.«

»Wem?«

»Vater natürlich!«

»Willst du mich beleidigen?«

»Ein bisschen schon«, gab meine Schwester zu. »Es war nicht einfach mit ihm. Acht Jahre lang habe ich …«

Acht Jahre lang. War wirklich so viel Zeit vergangen, seit meine Mutter verstorben und ich das letzte Mal zu Besuch gewesen war? Mir war es kürzer vorgekommen. Ich betrachtete die Hände meiner Schwester, die sie übereinandergelegt hatte. Zweifellos hatte die Haut an Spannkraft verloren, und die einst zarten Gelenke waren plump geworden. Sie hatte zugenommen. Während sie redete, nahm ich jedes Detail ihres veränderten Körpers wahr. Den weißen Haaransatz hatte sie vor acht Jahren noch nicht gehabt, und das Doppelkinn war ebenfalls neu. Warum war ich nicht eher gekommen? Ich bereute es, sie im Stich gelassen zu haben. Mein Zerwürfnis mit unserem Vater hatte sich auch auf sie ausgewirkt. Als der Daheimgebliebenen war ihr automatisch die Rolle der Pflegerin zugefallen, und sie hatte sich zwar nicht beklagt darüber, andererseits war ich auch nicht da gewesen, um mir ihre Klagen anzuhören. Ich hatte mich aus dem Staub gemacht. Nach mir die Sintflut. Und umgedreht hatte ich mich nur, um zu sehen, ob ich auch weit genug gelaufen war. Acht Jahre lang – so erschien es mir jetzt – war ich vor meinen Pflichten als Sohn und Bruder davongelaufen. Die Übernahme des Familienbetriebs zu verweigern war eine Sache. Dazu stand ich. Aber es für selbstverständlich gehalten zu haben, dass jemand anderer das Loch stopfte, das durch meinen Weggang entstanden war?

»… Yōji meint, wir sollten eine Entrümpelungsfirma beauftragen. Bei dem niedrigen Preis, den wir für das Haus erzielen werden, will er nicht noch Möbel schleppen.«

»Welches Haus? Wovon sprichst du?«

»Ich spreche von unserem Elternhaus.



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