Noware (German Edition) by Uwe Post

Noware (German Edition) by Uwe Post

Autor:Uwe Post [Post, Uwe]
Die sprache: deu
Format: mobi
veröffentlicht: 2012-08-04T22:00:00+00:00


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Was nahm man mit, wenn man sein altes Leben komplett hinter sich ließ?

Beim letzten Mal hatte ich meinen Sohn zurückgelassen, diesmal wiederholte sich die Geschichte in dieser Hinsicht. Allerdings ließ ich auch sämtliche Möbel zurück. Ich verließ die Wohnung, als wollte ich nur kurz zum Aldi: Mit Bargeld, ohne Einkaufszettel. Ein Foto von Jo hatte ich ohnehin immer dabei, viel mehr brauchte ich nicht.

Die Batterien meiner Radios waren alle leer, hatten ungefähr aufgehört zu funktionieren, als auch der letzte Rundfunksender den Dienst eingestellt hatte, »vorübergehend«, wie es hieß, aufgrund von Personalproblemen.

Die wenigen Informationsquellen, aus denen sich die letzten Nachrichtensendungen speisten, hießen Augenzeugen und Hörensagen. Beides war nicht sehr verlässlich, und sie widersprachen einander ungefähr in jedem zweiten Satz.

Klar war nur, dass ein weltweites Netzwerk anonymer Aktivisten den großen Konzernen und korrupten Politikern mal so richtig eins auswischen wollte. Unterstützt von islamistischen Zellen, die von der Idee Feuer und Flamme waren, sowie einer Menge Sprengstoff, wurde die moderne Infrastruktur erfolgreich eliminiert. Die Effizienz der Aktion überraschte offenbar sogar die Initiatoren, die nun feststellen mussten, dass sie sich vorher nicht überlegt hatten, was sie als nächstes tun sollten, und dieses Versäumnis in Ermangelung ihrer üblichen, natürlich elektronischen Kommunikationswege auch nicht mehr nachholen konnten.

Spontan gebildete Milizen hatten, teils mit besten Absichten, die Ordnung nicht wiederhergestellt, sondern alles nur noch unübersichtlicher gemacht, weil sie ständig die Reihenfolge von Fragen und Schießen durcheinander gebracht hatten. Einige Einheiten der Armee waren ausgerückt, um neuralgische Punkte zu beschützen, mangels Notfallplan und Nachschub aber schnell wieder abgezogen.

Die Bürger Europas waren langsam panisch geworden, als die Geldautomaten auch nach drei Tagen noch nicht wieder funktionierten. Die folgenden Plünderungen waren schnell vorbei gewesen, weil Lebensmittelläden keine neue Ware mehr erhielten und alles, was in den Kühlregalen lag, mangels Strom ohnehin nicht mehr genießbar war. Das hielt zahlreiche Leute nicht davon ab, das verdorbene Zeug zu essen. Krankenhäuser schickten Leute mit Magenbeschwerden aber wieder nach Hause, weil sie keinen Zugriff auf die zentralen Gesundheits-Datenbanken hatten und ihre Zeit lieber verwendeten, die Schusswunden zu behandeln, die in immer größerer Zahl auftraten.

Erstaunlich viele Menschen waren zu Sozialkontakten außerhalb des Internet nicht mehr fähig, verloren ohne Netz und Strom jede Orientierung, versanken in der Apathie des Nirgendwo. Viele verhungerten, unzählige sprangen aus dem Fenster oder von der nächsten Rheinbrücke. Das lokale Radio namens Düsselwelle war die letzte verbliebene Informationsquelle. Ein Hobby-Bastler hatte über Kurzwelle einen Sender in den ebenfalls betroffenen USA reingekriegt. Er saß im Studio des Lokalradios und erklärte den schwindenden Zuhörern, dass wir noch gut dran seien, weil bei uns weniger Leute über Schusswaffen verfügten.

In der Schusterstraße fand ich zufällig Zak, den Jungen, der Jo das Handy hatte klauen wollen. Er hing an einer Gaslaterne, mit dem Kopf nach unten, aufgehängt an einem abgerissenen, fingerdicken Telekomkabel. Blut bildete eine Pfütze unter ihm, und weitere Tropfen waren unaufhörlich dabei, sie zu vergrößern.

»Hast du Jo gesehen?«, fragte ich aus sicherer Entfernung.

Es dauerte eine Weile, bis Zaks blutunterlaufene Augen mich fixierten. »Leck mich«, stöhnte er, und mehr war nicht aus ihm heraus zu bekommen.

Ich verzichtete darauf, auf die Laterne zu klettern, um Zak herunter zu holen.



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