Nordkorea by Frank Rüdiger

Nordkorea by Frank Rüdiger

Autor:Frank, Rüdiger
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Deutsche Verlags-Ansalt
veröffentlicht: 2014-09-04T00:00:00+00:00


Gefährliche Veränderungen

Die Führung Nordkoreas hatte es bis Anfang der 1990er Jahre wie kaum ein anderes sozialistisches Land geschafft, das Geld fast völlig aus dem Leben der Menschen zu verbannen. Güter verteilte der Staat. Nur dieser war in der Lage, die Wünsche der Menschen nach Essen, Kleidung, Wohnung, Bildung für die Kinder, sozialem Prestige, Macht, Gesundheit und was auch immer man sich sonst wünschte zu erfüllen. Der Zugang zu all diesen Dingen war ausschließlich eine Frage des politischen Kapitals, also der Mitgliedschaft in Organisationen wie Partei und Militär, von Beziehungen und Netzwerken, eines revolutionären familiären Hintergrundes und natürlich des lebenslangen täglichen Beweises der Treue und des Eifers bei der Erfüllung der staatlichen Vorgaben.

All das war nun durch die Maßnahmen vom Juli 2002 in Frage gestellt worden. Die Konsequenzen waren ebenso vorhersehbar wie unausweichlich. Die Gesellschaft veränderte sich, und zwar unweigerlich und in einer wegen der einmaligen Ausgangssituation extremen Radikalität.

Einige Beispiele können dies illustrieren. Sie erinnern sich an meinen kläglich fehlgeschlagenen Versuch vom Oktober 1991, in Pjöngjang eine Kaffeetasse zu erwerben? Obwohl ich vor einer riesigen Pyramide aus Tassen stand, wollte man mir partout keine verkaufen. Im Oktober 2005, drei Jahre nach Beginn der Reformen und trotz der weiter unten geschilderten versuchten Rückkehr zum orthodoxen Sozialismus, hatte sich das völlig geändert. An vielen Geschäften in Pjöngjang hingen handgemalte Schilder, mit denen Kunden in die Geschäfte gelockt und zum Kaufen animiert werden sollten. Diese Aufforderungen waren auf Koreanisch, richteten sich also an Einheimische und nicht, wie man vielleicht glauben könnte, an Devisen bringende Ausländer. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir drei solcher Plakate.

Auf dem einen hieß es: »Aus Anlass des denkwürdigen Feiertages bieten wir viele unserer Waren mit einem Nachlass von zehn Prozent an«. Der »denkwürdige Feiertag« war nicht etwa der Nationalfeiertag, Weihnachten oder Thanksgiving, sondern der 60. Jahrestag der Gründung der Partei! Das neue Interesse am Verkaufen und Geldverdienen wurde mit der alten ideologischen Hülle kombiniert, um politisch korrekt auszusehen. Doch man stelle sich den Wandel vor, der sich hinter den Fassaden vollzogen hat. Verkäuferinnen, in Nordkorea sind das in der Tat fast immer Frauen, hatten nun nicht mehr primär die Dekoration zu verwalten und Kunden abzuwimmeln. Sie sollten möglichst viel Umsatz machen, und offenbar hatte man auch das Nachschubproblem gelöst. Leere Regale? Kein Thema mehr; nur leere Kassen galt es nun zu vermeiden.

Auf einem anderen Schild wurden die Passanten aufgefordert: »Kommen Sie herein, trinken Sie eine Tasse Kaffee oder ein erfrischendes Bier und spielen Sie ein wenig Schach«. Man könnte ein Café vermuten, doch das Plakat hing am Eingang eines Bekleidungsgeschäftes. Offenbar war man mit dem Umsatz, der mit Textilien zu erzielen war, nicht zufrieden und suchte aktiv und kreativ nach neuen Geschäftsideen. Das würden wir andernorts vielleicht als normal ansehen – in Nordkorea war es schlichtweg revolutionär.

Nicht zu vergessen, dass Verkauf nur funktioniert, wenn es auch Käufer gibt. Offenbar gab es mittlerweile sogar so viele, dass auf einem weiteren Plakat »unseres Landes erste Geldkarte« angepriesen wurde. Diese war zwar zunächst nur in gut einem Dutzend Geschäften einsetzbar, aber ganz offensichtlich begann sich eine Gruppe herauszubilden, die über Geld verfügte.



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