New York Diaries – Sarah Roman by Carrie Price

Autor:Carrie Price [Price, Carrie]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426439753
Herausgeber: Knaur e-books

Room with a View

Du hast das also wörtlich gemeint, mit in der Nähe wohnen.«

Ich sehe aus dem großen Fenster über den Hudson River, den ich von hier aus perfekt im Blick habe. Auf dem Weg hierher habe ich mich die ganze Zeit gefragt, wo Charlie wohl wohnt. Und vor allem: wie?

Doch statt mich in die Upper East Side zu fahren, hat es nur bis Tribeca gedauert. Sicher, hier finden sich tolle Immobilien, die meisten davon für mich unbezahlbar, aber wenn man sich Charlie und seine Herkunft vor Augen führt, dann wundert es einen doch. Und auch wenn die Wohnung mir unglaublich groß vorkommt, sie ist ganz anders, als ich sie mir vorgestellt habe: keine Designermöbel, kein Möbelkatalog-Look und auch kein kühler Glas-Metall-Einrichtungsstil.

»Die Wohnung war günstig, ich musste zuschlagen.«

Natürlich weiß ich, dass »günstig« in unseren Welten eine andere Bedeutung hat. Es fällt mir schwer zu glauben, dass Charlie eine Wohnung nur deswegen als Domizil auswählt, weil sie bezahlbar ist. Er könnte jede Wohnung und gleich das dazugehörige Haus kaufen, doch er hat sich für diese hier entschieden, in einem Viertel, in dem ich mir den Carrington-Clan auch nicht so recht vorstellen kann. Ungläubig sehe ich mich weiter um und bemerke, dass ich mich hier von der ersten Sekunde an wohl fühle. Die Couch sieht durchgesessen aus und zeigt, dass er es sich liebend gerne darauf gemütlich macht. Die Kissen laden einen für lange Filmabende ein, der Couchtisch trägt zahlreiche Gebrauchsspuren, vor allem Kaffee- und Wachsflecken, wie stolze Narben. Eine große Pflanze in einem groben Tontopf steht neben dem gekippten Fenster, das die Geräusche der nächtlichen Großstadt ins Innere lässt. In der offenen Küche könnte man für zehn Mann kochen, der Kühlschrank ist im Retrolook gehalten, seine Tür mit zahllosen kleinen Magneten übersät, aus denen man Sätze bilden kann. Die Kaffeemaschine ist natürlich ein Vollautomat, der alle Milchschaumträume wahr werden lässt.

Doch es ist das Regal im Wohnzimmer, das mich magisch anzieht: Schallplatten, wohin man auch sieht, in ihrer Mitte ein Plattenspieler, darüber ein großes gerahmtes Schwarzweißfoto von den Beatles auf der Bühne. Ein Schrein ganz nach meinem Geschmack! Charlie zieht seine Lederjacke aus und folgt meinem Blick.

»Ich wusste, dass du den schönen Ausblick dafür ignorierst.«

Das Grinsen in seiner Stimme ist nicht zu überhören, aber wenn er mich inzwischen auch nur ein bisschen kennt, weiß er auch, dass ich nicht einfach daran vorbeigehen kann.

»Beeindruckende Sammlung.«

»Danke.«

»Ich nehme an, es schadet nicht, den Namen ›Carrington‹ zu erwähnen, wenn du die ein oder andere Platte willst.«

»Ehrlich gesagt, habe ich die meisten nicht gehört.«

Autsch!

»Sie werden mir geschenkt und passen gut dahin.«

Überrascht drehe ich mich zu ihm um und hoffe, noch die verspätete Pointe zu diesem schlechten Scherz zu bekommen, doch Charlie zuckt nur etwas gelangweilt mit den Schultern.

»Das sind echte Schätze!«

»Ich weiß. Aber ich verbringe den ganzen Tag in der Musikwelt. Nach Feierabend brauche ich es nicht auch noch.«

»Klar.«

Verstehe ich ja irgendwie. Für mich ist Musik nur eben keine Arbeit, sondern unabdingbar. Würde Charlie nicht so verdammt sexy dastehen, würde ich mich vielleicht in eine Grundsatzdiskussion über die Notwendigkeit von Musik verzetteln.

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