Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition) by Kinstner Margarita

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition) by Kinstner Margarita

Autor:Kinstner, Margarita [Kinstner, Margarita]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Paul Zsolnay Verlag
veröffentlicht: 2013-08-25T22:00:00+00:00


3 Februar ist eine schlimme Zeit, da dauert die Kälte schon zu lange an. Eisig pfeift der Wind ums Haus und bringt die Menschen hinter ihren dicken Vorhängen zum Zittern. Nicht umsonst treffen sich im Februar die Gaukler und Narren, um mit ihren Masken und bunten Kostümen das Grau aus den Städten zu vertreiben. Gelingen will es ihnen dennoch nicht so recht. Zwar zeigt sich die Sonne an manchen Tagen schon zaghaft und versucht, die Städter von ihrer Kraft zu überzeugen – dann wandert alles auf die umliegenden Hausberge, wo man ihr ein wenig näher zu sein glaubt –, doch diese Zeit ist nur von kurzer Dauer, und schon nach ein paar Tagen glaubt man nicht mehr an die flüchtige Wärme. Wie ein ferner Traum erscheint sie einem, wenn man am Donaukanal entlangspaziert, und der Wind die kahlen Äste und den Mantelkragen wieder fest im Griff hat.

So gehen auch Max und Gerd an diesem kalten Februartag, eingewickelt in dicke Mäntel, die Praterstraße entlang, hinunter zu ihrer Wirkungsstätte, dem legendären Haus des Praterkasperls, das jetzt ganz neu ist und gar nicht mehr an den aufmüpfigen Witzbold von einst erinnert. Der Prater wird immer bunter und lauter, aber seine Glanzzeiten sind vorbei, da helfen auch die vielen Hochschaubahnen und der neue Eisvogel nichts. Am unteren Ende der Praterstraße, gleich unten beim Praterstern, wo der alte Tegetthoff auf die Fußgänger hinunterblickt und man neuerdings alles aufbohrt, dort, wo alles trist, dreckig und grau ist und sich die Wiener Schwermut in ihren düstersten Farben über die Menschen legt, wohnen Gerd und Max, Herren des legendären Praterkasperls und der berüchtigten Hexe Tussifussi. In ihrer kühlen Zweizimmerwohnung direkt über der brodelnden Stadt vollführen sie jeden Morgen das gleiche Ritual. Gerd sprüht Schaum auf seine Handfläche und verteilt ihn auf Max’ Gesicht, und Max sitzt ganz still, lässt sich die Cappuccinotasse in die Hand legen, und wartet mit geschlossenen Augen auf Gerds zarte Berührung. Das Auftragen der weißen Maske dauert etwa eine halbe Stunde. Gerd grundiert, pudert und pinselt, und Max wackelt mit der Nasenspitze. »Halt still«, sagt Gerd und fährt mit dem Kajal am unteren Rand des Maxauges entlang, bis in die seichten Augenwinkelfältchen hinein.

Dann verlassen sie die Wohnung. Arm in Arm schlendern sie am Tegetthoff-Denkmal vorbei, um Podreccas beschimpfte Stahlkonstruktion herum und in den Prater hinein und streben, das Riesenrad rechts liegen lassend, auf das neue Kasperlhaus zu.

Heute haben sich zwei Kindergartengruppen angemeldet. Max holt den hölzernen Gesellen aus seiner Truhe, einst Liebling aller Wiener, heute nur noch Staffage fürs Kinderfernsehen.

»Was meinst du?«, sagt er zu Gerd. »Ob es eine gute Idee war, dem alten Palicini zuzusagen? Glaubst du wirklich, das lässt sich machen?«

Gerd, einer Generation entstammend, die sich noch an die Glanzzeiten des Kasperls erinnert, nimmt Max die Puppe aus der Hand und schenkt ihr ein liebevolles Lächeln.

»Alles lässt sich machen, mein Lieber. Und unser Freund hier darf endlich wieder der sein, der er immer war.«

Und so legt sich, während Gerd und sein jugendlicher Harlekin die Kulissen aufbauen und Pavel Palicini gleich ums Eck



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